Das verstummen der Kraehe
geschorenes, dunkelblondes Haar, Designerhemd. Warum nicht? Die beiden gaben ein interessantes Paar ab, nicht zuletzt durch den Größenunterschied. Sie überragte ihn um ein paar Zentimeter.
»Davon hat bisher noch niemand etwas mitbekommen. Sie schleicht sich in der Dunkelheit in mein Bett und verlässt es vor Morgengrauen wieder, um in ihre Einzimmerwohnung zurückzukehren, die ich nicht betreten darf.«
»Keine Sorge, Arne, ich durfte bisher auch nicht hinein«, beruhigte ich ihn.
»Ich verstehe überhaupt nicht, worüber ihr beide euch aufregt«, konterte Henrike gelassen. »Meine Wohnung ist so ziemlich die kleinste und scheußlichste in ganz Pasing, wenn nicht in ganz München …«
»Ich habe dir schon mehrfach angeboten, bei mir einzuziehen«, fiel Arne ihr ins Wort.
Henrike schickte ihm einen Kuss durch die Luft. »Du hast mir auch angeboten, dich an der Miete für eine bessere Wohnung zu beteiligen. Das ehrt dich, aber mich würde es in eine Abhängigkeit bringen, die …« Sie suchte nach einer passenden Formulierung.
»Ich weiß«, kürzte Arne das Ganze ab. »Abhängigkeit kommt bei dir direkt nach den Masern.«
»Nach den Masern?«, fragte ich und musste lachen.
»Als Kind hatte Henrike die Masern so heftig, dass sie wochenlang im Krankenhaus lag«, antwortete er trocken.
Der Blick, mit dem sie ihn belohnte, zeugte von einer Nähe, mit der Henrike eher sparsam umging. »Du bist ein guter Zuhörer«, lobte sie ihn.
»Und nicht nur das! Aber jetzt lasse ich euch beide allein. Dann kann sie dir endlich ungestört von mir vorschwärmen, Kris.«
Ich bekam einen Abschiedskuss auf die Wange und sah dabei zu, wie die beiden sich tiefe Blicke zuwarfen. Das Knistern war förmlich zu spüren.
»Seit wann schleichst du dich denn schon in sein Bett?«, fragte ich, als die Tür hinter Arne zugefallen war.
»Seit zwei Wochen. So in etwa.« Henrike machte sich wieder an den Steinguttöpfen zu schaffen.
Ich beugte mich tief hinunter, um ihr ins Gesicht sehen zu können. »Bist du verliebt?«
»Quatsch. Es ist eine reine Bettgeschichte.«
»Es soll schon Bettgeschichten mit Perspektive gegeben haben.«
»Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, wolltest du mir etwas über einen verurteilten Mörder erzählen, mit dem du Mitleid hast?«, lenkte sie geschickt ab.
Ich warf einen Blick Richtung Hof, wo meine Besucher vermutlich schon die zweite oder dritte Zigarette rauchten und ihre weitere Strategie absprachen.
»Zweifelst du aus irgendeinem Grund an seiner Schuld?«, fragte sie in meine Gedanken hinein.
»Seine Freunde zweifeln nicht daran.«
Henrike beobachtete die Gruppe durch die Glastür. Sie standen in einem engen Kreis und diskutierten.
»Genauer gesagt, haben sie am Anfang daran gezweifelt, sich dann aber angeblich aufgrund der Beweise vom Gegenteil überzeugen lassen. Ich frage mich nur, ob es völlig ausgeschlossen ist, dass er unschuldig war. Schließlich könnte mir auch jemand ein Messer mit meinen Fingerabdrücken und ein Haar entwenden und alles an einem Tatort zurücklassen. Wenn ich kein Alibi für die Tatzeit nachweisen könnte und ein stichhaltiges Motiv hätte …« Ich nahm einen sauberen Lappen vom Verkaufstisch, legte ihn auf einen umgedrehten Steinguttopf und setzte mich darauf.
»Wenn es so gewesen wäre, hätte es der Täter aber nicht nur auf den Journalisten abgesehen gehabt, sondern auch auf den Arzt, der verurteilt wurde. Das halte ich für unwahrscheinlich, Kris. Zu viele Wenns.«
»Eine Sache will mir trotzdem nicht in den Kopf. Da entzweien sich zwei Freunde wegen eines Betrugs, der die Schulden des einen nahezu tilgt, den anderen allerdings, nämlich den späteren Mörder, eins Komma acht Millionen Euro kostet. Der bricht jeden Kontakt ab, nur um dann Monate später seinen Gegenspieler zum vierzigsten Geburtstag einzuladen und in der Nacht darauf umzubringen? Das ergibt für mich keinen Sinn.«
»Für mich schon. Vermutlich hatte dieser Fritz Lenhardt angenommen, er sei darüber hinweg, hat dabei aber sich und die Situation falsch eingeschätzt. So viel Geld schmerzt eben doch, von dem Betrug mal ganz abgesehen. Konstantin Lischka muss an dem Abend nur ein falsches Wort gesagt und damit Benzin in die Glut gegossen haben. Diese Flammen werden seinen Freund innerlich zerfressen haben, immer mehr und immer mehr, bis er es nicht mehr ertrug und sich ins Auto gesetzt hat, um nach Schwabing zu fahren.«
»In dem Fall wäre er völlig außer sich gewesen und hätte
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