Das verstummen der Kraehe
hat.«
Die nachfolgende Stille war wie greifbare Materie, die alle Anwesenden zu umschlingen schien, mich eingeschlossen. Meine Gedanken überschlugen sich, aber einer drängte sich in den Vordergrund.
»Sie haben es für möglich gehalten«, begann ich zögernd, »dass Konstantin Lischka seinen Freund Fritz Lenhardt auch noch erpresst, nachdem er ihn durch seinen Betrug um eins Komma acht Millionen gebracht hat?«
Sie senkte ihren Blick auf ihre Hände und schwieg. Auch das war eine Antwort.
»Das mit dem Betrug stimmt einfach nicht«, sagte Nadja Lischka in meine Richtung. »Es wurde immer so dargestellt, aber mein Mann befand sich damals in einer Situation, in der ihm das Wasser bis zum Hals stand. Er konnte seine Lage gar nicht mehr überblicken und hat gehandelt, ohne nachzudenken.«
»Aber seine Lage hat sich durch dieses gescheiterte Immobiliengeschäft grundlegend verbessert. War es nicht so?«, fragte ich.
»So war es aber nicht geplant. Er hat nie eine böse Absicht verfolgt«, betonte sie und wandte den Blick zu Rena Velte. »Du hast Konstantin tatsächlich eine Erpressung zugetraut?« Sie klang tief verletzt. »Und dann versuchst du auch noch, Fritz zu schützen …«
»Versteh doch«, fiel Rena Velte ihr ins Wort. Selbst jetzt klang ihre Stimme noch weich und melodisch. »Fritz hatte ohnehin schon die Schlinge um den Hals. Sollte ich da auch noch …?«
»Ja. Genau das solltest du!«
»Ich musste mich zwischen zwei Freunden entscheiden.«
»Und da fiel deine Wahl auf den Mörder, nur weil der andere tot war und sich nicht mehr wehren konnte? Hast du dabei auch nur eine Sekunde lang an die Kinder und mich gedacht? Was, wenn die Beweise nicht ausgereicht hätten, um Fritz zu verurteilen? Dann wäre er davongekommen!«
»Nadja«, ging Beate Angermeier genervt dazwischen. »Es war für uns alle damals eine Ausnahmesituation. Da handelt nicht jeder politisch korrekt. Rena hat es gut gemeint. Lass es dabei bewenden!«
»Aber …«
»Bitte!«
Die beiden Frauen verständigten sich in einem stummen Zwiegespräch. Dann lehnten sie sich in ihren Stühlen zurück und sahen mich an.
»Habe ich das richtig verstanden, Frau Velte? Sie sind sich inzwischen nicht mehr sicher, was Sie damals gehört haben?«
Sie wich meinem Blick aus und nahm sich aufs Neue ihren geflochtenen Zopf vor. »Es ist so lange her.«
Ein klares Ja klang anders. Auch meine Frage nach Ben war unbeantwortet geblieben.
»Dann schlage ich vor, dass wir die Besprechung an diesem Punkt unterbrechen und wir uns am Montag zur gleichen Zeit wieder hier treffen«, sagte ich. »Ich bitte Sie alle, sich bis dahin nochmals ganz ausführlich Gedanken über die Angelegenheit zu machen. Was ich Ihnen dazu mit auf den Weg geben möchte, ist dies: Sollte ich die Testamentsvollstreckung annehmen und Ihrer aller Überzeugung folgen, dass der wahre Mörder verurteilt worden ist, würde jedem von Ihnen ein Fünftel von Theresa Lenhardts Erbe zustehen. Sollte alles ganz anders gewesen sein und der Mörder noch frei herumlaufen, müssten sich möglicherweise nur vier das Vermögen teilen.«
Augenblicklich war der Raum erfüllt von einem Gewirr von Unmutslauten. Christoph Angermeier war es schließlich, der sie in Worte fasste.
»Ist Ihnen klar, was Sie damit unterstellen?«, fragte er.
Nicht nur das. Ich wusste auch, dass ich einen vergifteten Pfeil in dieses Freundschaftsgefüge geschossen hatte.
»Halten Sie es allen Ernstes für möglich, dass Sie hier mit einem Mörder oder einer Mörderin am Tisch sitzen? Ich glaube, Sie sollten Ihre Zunge hüten, damit Ihnen nicht eine Anzeige wegen Rufmords ins Haus flattert.«
»Was soll das, Christoph?« Tilman Velte, der im Vergleich zu seinem eher robusten Freund wie ein englischer Gentleman wirkte, runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. »Wir sind hier unter uns. Und in diesem Rahmen kann Frau Mahlo durchaus Spekulationen anstellen. Keinem von uns ist das angenehm, aber deshalb musst du nicht gleich die Rufmordkeule schwingen.« Er drehte den Kopf zu mir. »Sie sitzen in einer Zwickmühle, Frau Mahlo. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, deshalb werden Sie nie die Gewissheit haben, dass Fritz wirklich Konstantins Mörder war. Der Richter hatte sie, Theresa nicht. Sie können sich nur für die eine oder die andere Seite entscheiden. Es läuft auf eine Entscheidung zwischen Vernunft und Mitgefühl hinaus. Theresa hat sich zum Schluss in den Wahn verrannt, einer von uns sei der Mörder.
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