Das verstummen der Kraehe
seinen Freund im Affekt getötet, was auch erklären würde, warum er das Messer dort hat liegen lassen. Aber das Gericht hat ihn wegen Mordes verurteilt.«
»Er wird das Messer nicht zufällig in der Hosentasche gehabt, sondern es bewusst eingesteckt haben. Außerdem wurde Konstantin Lischka doch von hinten erstochen. Kannst du alles im Internet nachlesen. Hast du eigentlich etwas über die Sache mit deinem Bruder herausfinden können?«
»Nein. Danach will ich sie gleich fragen.« Ich gähnte und massierte meinen Nacken. »Einerseits glaube ich nach wie vor, dass es sich um eine Finte handelt. Andererseits fürchte ich mich davor, dass es keine ist.«
Henrike wischte sich ihre staubigen Hände an der Jeans ab, zog sich einen Steinguttopf heran und funktionierte ihn ebenfalls zum Hocker um. »Welchen Eindruck hast du von den Leuten?«
»Sie wollen alle so schnell wie möglich an das Geld. Für sie scheint die Bedingung im Testament überhaupt keine Hürde darzustellen. Der Mörder wurde verurteilt, und dessen Witwe hat das nicht wahrhaben wollen.«
»Was sogar sehr wahrscheinlich ist.«
»Was würdest du an meiner Stelle tun, Henrike?«
Sie zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch zur Seite. »Das, was ich dir gestern Abend schon gesagt habe. Ich würde mir die Frau vorknöpfen, die angeblich dieses Gespräch belauscht hat. Versuch herauszufinden, ob sie glaubwürdig ist.«
»Wie soll ich das denn anstellen?«
»Indem du ihr Fragen stellst, mit denen sie nicht rechnet. Zum Beispiel, wo in der Gästetoilette sie sich befand, was sie dort gerade gemacht hat, als sie das Gespräch belauscht hat. Ob sie nur diesen einen Satz gehört hat oder noch mehr. Warum sie nicht sofort die Tür geöffnet hat, um zu sehen, wer der Gesprächspartner des Journalisten war. Wem sie sich anvertraut hat. Immerhin war es ein schwerwiegender Satz, sollte er so tatsächlich gefallen sein.«
»Steht das in den Fachbüchern für angehende Krimiautorinnen?«
»Es gibt Fachbücher über Vernehmungstechniken.«
»Und die liest du?«
»Mein Krimi soll Hand und Fuß haben.« Sie wandte den Kopf und sah zum Hof. »Ich glaube, die werden langsam ungeduldig.«
»Frau Velte«, begann ich, als alle wieder im Besprechungsraum Platz genommen hatten, »könnten auch Sie mir bitte noch Ihre Einschätzung geben?«
Rena Velte rückte den Stuhl ein Stück zurück und schlug die Beine übereinander. Ihre Hände legten sich um die Armlehnen. Es sah so aus, als suche sie einen Halt.
Mit weicher, melodischer Stimme begann sie zu sprechen. »Vermutlich hätte ich ähnlich wie Theresa für meinen Mann gekämpft, wenn er verdächtigt worden wäre. Das …«
»Das will ich doch hoffen«, unterbrach Tilman Velte sie mit einem Augenzwinkern.
Sie lächelte ihn an und sah dann wieder zu mir. »Das ist wohl nur allzu menschlich. Aber gegen ein blutiges Messer mit Fingerabdrücken und ein Haar am Opfer lässt es sich schwer ankämpfen. Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Völlig aussichtslos. Ein solcher Kampf lässt einen zur tragischen Figur werden.«
»War Ihre Freundin das Ihrer Meinung nach – eine tragische Figur?«
»Ich finde schon. Aber Theresa gebe ich gar nicht die Schuld daran, sondern Fritz. Er hätte sie erlösen können, indem er ihr die Wahrheit gesagt hätte. Dazu hätte er nicht einmal offiziell gestehen müssen. Nur sie hätte er einweihen müssen. Ich fand es erbarmungslos von ihm, das nicht zu tun. Eigentlich passte das nicht zu ihm, aber letztlich schauen Sie niemandem hinter die Stirn.«
»Haben Sie sich jemals gefragt, ob Sie sich in Ihrem Freund Fritz vielleicht gar nicht getäuscht haben? Wenn Sie erst so sicher waren, dass er sich seiner Frau gegenüber nie so erbarmungslos gezeigt hätte, könnte das nicht das entscheidende Indiz für seine Unschuld gewesen sein? Nicht für das Gericht, aber für Sie als Freundin?«
»Wohin soll das führen?«, kam Christoph Angermeier ihr zuvor.
»Bitte, Christoph, ich finde die Frage berechtigt«, sagte Rena Velte. »Ich habe sie mir nämlich auch gestellt, habe mich aber für keine der beiden möglichen Antworten entscheiden können. Fritz hat Theresa sehr geliebt. Sie war eine sehr attraktive Frau, und mit attraktiv meine ich nicht nur ihr Äußeres. Ich glaube, Fritz hatte manchmal das Gefühl, ihr nicht das Wasser reichen zu können.«
»Sie meinen, er hätte alles getan, um ihr gegenüber ein positives Bild aufrechtzuerhalten?«
»Stellen Sie sich doch nur
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