Das verstummen der Kraehe
Frau Mahlo?«
Ihre unverblümte Art gefiel mir irgendwie. Sie tat alles, um nicht als blond gelockte, zart aussehende Yogalehrerin in einer klischeebeladenen Schublade zu landen. »Wem war denn damals besonders daran gelegen, schmutzige Wäsche zu waschen?«, überging ich ihre Frage.
Sie wich meinem Blick aus und schien sich ihre Antwort gut zu überlegen. Für Sekunden kam es mir vor, als hielten alle den Atem an. »In schlimmen Zeiten fallen Worte, die man später bereut«, sagte sie schließlich und schaltete von unverblümt auf vorsichtig.
»Fritz Lenhardt hat nie gestanden«, sagte ich in die Runde. »Jedenfalls nicht offiziell.«
Christoph Angermeier war es schließlich, der den Ball aufnahm. »Fritz war ein Stratege, ein Denker. Was den Intellekt betraf, hat er uns alle in die Tasche gesteckt. Er hätte nie und nimmer gestanden, solange noch die winzige Hoffnung bestand, ungeschoren davonzukommen. Deshalb hat ihn seine Verurteilung völlig umgehauen. Als das Urteil verlesen wurde, muss ihm bewusst geworden sein, dass er sich verzockt hatte.«
»Er hätte in der Haft ein Geständnis ablegen und sich damit möglicherweise Erleichterungen oder eine Haftverkürzung verschaffen können«, gab ich zu bedenken.
Christoph Angermeier schüttelte seinen kahl geschorenen Schädel. »Erst hat er alles darangesetzt, das Urteil anzufechten, dann, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen. Ich vermute, dass während dieser Zeit die Realität der Haftanstalt wie ein Tsunami über ihn hinweggefegt ist. Im Vergleich zu dem Leben, das er in guten Zeiten geführt hat, muss ein Gefängnis die Hölle sein.«
»Kein ›im Zweifel für den Angeklagten‹?«, vergewisserte ich mich und erhielt einhelliges Kopfschütteln als Antwort.
»Theresa Lenhardt schrieb in ihrem Brief an mich, dass kurz vor Ende des bewussten Abends ein paar scharfe Worte zwischen Fritz Lenhardt und Konstantin Lischka gefallen sein sollen. Dabei ging es wohl um den gescheiterten Hauskauf. Wer von Ihnen hat diese Auseinandersetzung mitangehört und dann vor Gericht dazu ausgesagt?«
»Das war ich«, antwortete Nadja Lischka.
»Als die beiden stritten, hatten Sie da das Gefühl, es sei ein Streit bis aufs Blut, einer, der eskalieren könne?«
Sie dachte nach und schüttelte den Kopf. »Zu dem Zeitpunkt nicht, später aber schon. Letztlich weiß man nicht, welcher Tropfen bei jemandem das Fass zum Überlaufen bringt. Man begreift oft erst, wenn es bereits geschehen ist.«
5
»Es ist völlig irrational«, sagte ich zu Henrike, die in ihrem Trödelladen stand und eine Pyramide aus alten Steinguttöpfen baute, während meine Besucher im Hof eine Zigarettenpause einlegten. »Ich habe die ganze Zeit das Bedürfnis, diesen Fritz Lenhardt zu verteidigen. Einen verurteilten Mörder, den ich nicht einmal gekannt habe.« In diesem Moment hörte ich in den Tiefen des Raumes etwas zu Boden fallen. »Warum hast du nicht gesagt, dass du Kunden hast?«, flüsterte ich.
»Es ist nur Arne.« Sie richtete sich auf und rief. »Kris ist hier, falls du ihr Guten Tag sagen möchtest.«
»Komme«, schallte es zurück. »Nur einen Moment noch.«
Arne Maas handelte mit Autos, egal mit welchen, da legte er sich nicht fest. Auch im Hinblick auf seine Arbeitszeiten nahm es der Fünfundvierzigjährige nicht so genau. Das musste er auch nicht, denn seit er vor ein paar Jahren seine Stiefmutter beerbt hatte, war er finanziell unabhängig. Ich hatte ihr Testament damals vollstreckt. So hatten wir uns kennengelernt. Seitdem war er mein Ansprechpartner, wenn es darum ging, Autos, Motorräder oder anderes Gefährt aus Nachlässen zu verkaufen. Arne war zuverlässig, verschwiegen, und er machte nicht erst viele Worte, bevor er anpackte. Simon und mir war er zu einem Freund geworden.
»Seit wann interessiert Arne sich für Trödel?«, fragte ich. Wer sein Haus einmal von innen gesehen hatte, der wusste, dass er einen ebenso erlesenen wie teuren Geschmack hatte.
»Er interessiert sich nicht für Trödel«, antwortete Henrike mit einem Augenzwinkern, das ich nicht verstand.
»Sondern?«
»Für mich.«
»Ihr beide?«
»Ja, wir beide«, hörte ich in meinem Rücken seine Stimme. »Überrascht?« Er drückte mir einen Kuss auf die Wange.
»Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn meine Freunde eine … Verbindung eingehen. Ich kann es nur nicht ausstehen, wenn ich nichts davon mitbekomme.«
Arne baute sich neben Henrike auf. Breite Schultern, O-Beine, Dreitagebart, kurz
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