Das verstummen der Kraehe
Telefonkontakte in den Stunden vor seinem Tod überprüft.«
»Die Kontakte, ja, aber was ist mit den Inhalten?«
»Bei einem Telefonat so kurz vor seinem Tod wären die ans Licht gekommen, darauf würde ich wetten. Ich an deiner Stelle würde jetzt genau das tun, was Theresa Lenhardt dir empfohlen hat. Wie hat sie es formuliert? Das mit dem Faden?«
Ich kannte ihren Brief mittlerweile fast auswendig. »Vielleicht gelingt es Ihnen, auf der Seite Ihres Bruders das Ende eines Fadens aufzunehmen und es mit dem Gast unserer Tafelrunde zu verbinden, den Konstantin an jenem Abend zu erpressen versucht hat.«
Henrike deutete mit dem Zeigefinger auf einen imaginären Punkt vor mir. »Genau das würde ich tun.«
»Auf Bens Seite gibt es keinen losen Faden. Wir sind damals jedem noch so unwichtigen Hinweis nachgegangen. Aber da war nichts. Auch die Leute von der Kripo haben nichts herausgefunden.«
»Ich würde trotzdem noch einmal mit Bens Freunden und Bekannten sprechen.«
»Das ist zwecklos, Henrike. Ich habe die damals alle gelöchert. Und die Kripobeamten haben das bestimmt auch getan.«
Sie holte tief Luft. »Erst einmal glaube ich nicht, dass jeder bereitwillig der Kripo sein Herz ausschüttet. Dann gibt es Menschen, die Beobachtungen zurückhalten aus Sorge, sich lächerlich zu machen. Und diejenigen, die Angst haben, sich selbst verdächtig zu machen. Und manche haben etwas gesehen oder wissen etwas, dem sie aber keine Bedeutung beimessen. Es gibt etliche Gründe, warum Menschen mit Informationen hinterm Berg halten. Sprich noch einmal mit Bens Freunden. Und geh noch einmal seine Sachen oben in der Dachwohnung durch. Wenn du es nicht alleine tun magst, helfe ich dir gerne.«
»Eins nach dem anderen«, murmelte ich, nachdem Henrike sich um kurz nach elf verabschiedet hatte, um in ihren Laden zurückzukehren. Erst einmal würde ich Tilman Velte zurückrufen.
Er war bereits nach dem ersten Klingeln am Apparat und sagte lachend, mein Anruf sei seine Erlösung. Er habe stundenlang vor dem Telefon ausgeharrt und auf meinen Rückruf gewartet, was bei diesem lausigen Wetter allerdings kein Drama gewesen sei.
»Was haben Sie mir denn zu erzählen?«, fragte ich und erwiderte seinen unbeschwerten Ton.
»Meiner Frau ist es sehr unangenehm, dass sie sich so verhört hat. Sie hat mich gebeten, Ihnen das auszurichten.« Jetzt klang er ernst. »Beate hat uns nach dem gestrigen Termin bei Ihnen reinen Wein eingeschenkt. Hätten wir vorher von dieser Affäre und von Konstantins Erpressung gewusst, hätte Rena Theresa ganz sicher nicht davon erzählt. Wobei ich ehrlich gesagt glaube, dass Theresa dieser Satz sehr gelegen kam, um Sie, Frau Mahlo, zu ködern. Hätte sie ihm tatsächlich Gewicht beigemessen, hätte sie ihrem Leben sicher nicht selbst ein Ende gesetzt, sondern jede Minute genutzt, die ihr blieb. Meinen Sie nicht auch?«
Ich dachte an Henrikes Worte und beschloss, nichts zu meinen, sondern lediglich zu sammeln. »Könnte ich Ihre Frau sprechen? Ich wollte sie gerne noch etwas fragen.«
»Sie ist vor einer Stunde mit unserem Sohn ins Schwimmbad gefahren und kommt sicher nicht so bald zurück. Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«
Einen Versuch war es wert. »Etwas akustisch falsch zu verstehen, das kann ich nachvollziehen. Aber wie sie bei dem Wort Beate Ben Mahlo verstanden haben will, leuchtet mir nicht ein, zumal sie meinen Bruder nicht kannte.«
»Diese Frage habe ich meiner Frau auch gestellt, Frau Mahlo. Sie ist inzwischen überzeugt, ihr Gehirn habe ihr einen Streich gespielt. Damals hingen überall diese Plakate mit dem Namen Ihres Bruders darauf. Dadurch sei ihr der Name ständig im Kopf herumgespukt. Hinzu kam, dass sie großen Anteil am Verschwinden Ihres Bruders genommen hatte. Meine Frau ist überaus sensibel, sie nimmt sich vieles sehr zu Herzen.«
»Wenn sich Ihre Frau das Verschwinden meines Bruders damals so zu Herzen genommen hat und sie glaubte, dass Konstantin Lischka über Ben gesprochen hat – wieso hat sie dann geschwiegen?« Es fiel mir schwer, sachlich zu bleiben. Am liebsten hätte ich ihr selbst diese Frage um die Ohren gehauen.
»Das hat meine Frau Ihnen bereits gesagt. Sie wollte Fritz nicht schaden.«
»Nach dem Urteil hätte sie es sagen können.«
»Nein, Frau Mahlo«, sagte er geduldig, »das hätte sie nicht. Fritz hatte immerhin einen Mord begangen. Und irgendwann wäre er freigekommen. Sie wollte es sich nicht mit ihm verderben. Außerdem war sie mit Theresa eng
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