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Das verstummen der Kraehe

Das verstummen der Kraehe

Titel: Das verstummen der Kraehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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als Henrike mit der braunen Tonne hinter der Scheune hervorkam.
    »Das tut richtig weh«, sagte sie, als sie den ersten Baum aus seiner flachen Schale gelöst und in die Tonne geworfen hatte. »Wie verroht muss man sein, um so etwas zu tun?«
    Ich nahm den kleinen Apfelbaum und musste an seine wunderschönen Blüten im vergangenen April denken. Sie waren eine einzige Pracht gewesen. Ich löste ihn aus dem Topf und ließ ihn in die Tonne fallen. »Ich bin mir gar nicht sicher, ob es hier um Verrohung geht.«
    »Sondern?« Sie hielt inne und runzelte die Stirn.
    »Um eine Drohung.«
    »Geht das ein bisschen genauer?«, fragte Henrike mit gerunzelter Stirn.
    »Erst hat in der Nacht auf Donnerstag jemand die Kerze ausgeblasen, davon hatte ich dir ja erzählt. Es kann nur so gewesen sein. Am Nachmittag war ich in der Wohnung von Theresa Lenhardt und bekam dort einen anonymen Anruf. Danach …«
    »In den Wohnungen von Toten klingelt doch öfter mal das Telefon, das ist nichts Ungewöhnliches.«
    »Dass ein Anrufer nur ins Telefon atmet, hatte ich bisher zwar noch nicht, trotzdem habe ich mir erst einmal nichts dabei gedacht. Es ist allerdings nicht bei diesem einen Mal geblieben. Außerdem klemmte kurze Zeit später ein Kondom unter meinem Scheibenwischer, und am Tag darauf lagen neunzehn Stück in meinem Vorgarten.« Ich war Henrike dankbar, dass sie konzentriert zuhörte und keine Witze machte. »Vorgestern hatte ich schließlich zwei Fotos in der Post. Das eine zeigte mich am Fenster von Theresa Lenhardts Arbeitszimmer, das andere, wie ich vor dem Haus das Kondom unter dem Scheibenwischer hervorzog. Mich hat also eindeutig jemand beobachtet. Und jetzt die Bonsais.«
    »Warum hast du nicht längst mal einen Ton gesagt, Kris?«
    »Was hätte das ändern sollen?«
    »Auch Einzelkämpfer können hin und wieder von einem Austausch profitieren. Wir könnten zum Beispiel gemeinsam überlegen, wer dahintersteckt und wie wir dem Ganzen ein Ende bereiten.«
    »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Theresa Lenhardts Erben da die Hand im Spiel haben. Entweder ein Einzelner oder alle gemeinsam – im Ergebnis ist das ziemlich egal. Aber ich lasse mich von denen nicht einschüchtern.«
    »Fällt dir nichts auf dabei?«
    Ich setzte mich rittlings auf die Mauer. »Die Aktionen werden immer boshafter, das fällt mir auf.«
    Henrike setzte sich mir gegenüber. »Zwei der Aktionen haben eine Verbindung zu Ben. Ich habe noch mal in den Pressearchiven nachgelesen, was damals über das Verschwinden deines Bruders geschrieben wurde. In einem der Artikel wurde explizit diese Kerze erwähnt, die für deinen Vater eine so große Bedeutung hat. Und auch die Bonsais, mit denen deine Mutter ihre Hoffnung am Leben hält.«
    »Das Wühlen in den Pressearchiven hättest du dir sparen können. Mein Vater hat alle Artikel und Meldungen gesammelt. Aber wieso bist du so überzeugt, dass die beiden Aktionen auf Ben hinweisen? Die Kerze und die Bonsais stehen hier seit Jahren frei zugänglich. Jeder, der auf den Hof kommt, kann sie sehen. Man müsste schon ein unsensibler Holzklotz sein, um nicht zu begreifen, dass die Kerze eine Bedeutung hat. Und die Bonsais könnten einfach nur ein Hobby sein.«
    »Sind sie aber nicht. Sie sind die Zöglinge deiner Mutter. Kris, warum sträubst du dich so sehr gegen einen Zusammenhang mit Ben?«
    Ich strich über die feinen Nadeln der Miniaturdouglasie und dachte über Henrikes Frage nach.
    »Ist es die Sorge, Ben könnte in irgendetwas Illegales verstrickt gewesen sein? Du bist doch sonst immer eine Verfechterin von harten Fakten und willst nichts beschönigen.«
    »Es reicht, dass wir ihn verloren haben. Ich möchte nicht auch noch herausfinden müssen, dass der Ben, den wir kannten, eine Illusion war.«
    Die Bande war reif für die nächste Runde. Am Nachmittag schrieb ich den fünf möglichen Erben eine Mail, fasste den Status quo zusammen und vertröstete sie wegen des nächsten Treffens. Ich machte unmissverständlich klar, dass die Option mit dem Tierschutzverein momentan die wahrscheinlichere sei. Um das Testament zu ihren Gunsten zu vollstrecken, müsste für jeden der Verdacht, an der Ermordung von Konstantin Lischka beteiligt gewesen zu sein, ausgeräumt werden. Ohne weitere Fakten sei mir das nicht möglich.
    Nachdem ich auf »Senden« gedrückt hatte, überfiel mich eine bleierne Müdigkeit, die jeden weiteren Versuch, mich zu konzentrieren, zunichtemachte. An diesem toten Punkt half selbst Kaffee nicht mehr.

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