Das verstummen der Kraehe
wär’s jetzt mit der versprochenen Massage?«
Ich küsste ihn lange und schob meine Hände unter sein T-Shirt. »Wenn du meinen Nacken aussparst …«
11
Die Zeiten, in denen ich nachts ohne Angst den Hof überquert hatte, waren vorbei. Das Erlebnis aus dem Park saß mir tief in den Knochen. Bewaffnet mit einem Messer von beachtlicher Größe, sah ich mich nach allen Seiten um, bevor ich loslief und die zwanzig Meter zwischen Nebengebäude und Haupthaus in Rekordzeit zurücklegte. Im Augenwinkel sah ich die Kerze brennen, bevor ich erleichtert die Haustür aufstieß und dahinter verschwand.
Allem Anschein nach war ich nicht die Einzige, die morgens um halb fünf wach war. Durch das Glasfenster in der Wohnungstür meiner Mutter sah ich einen Lichtschein fallen. Sie konnte also auch nicht schlafen. Ich klopfte gerade so laut, dass sie es hören musste, das Geräusch aber nicht durch den Hausflur hallte. Sekunden später öffnete sie barfuß und im Morgenmantel die Tür.
»Komm rein«, sagte sie leise. Dann fiel ihr Blick auf das Messer in meiner Hand. Sie sah mich fragend an.
»Ich hab es mir von Simon geborgt.«
»Wozu?«
Aus ihrer Sicht war die Frage berechtigt, immerhin hatte ich einen gut gefüllten Messerblock. Simon schenkte mir zu jedem Anlass ein neues, da er als leidenschaftlicher Koch der Überzeugung war, es müsse für jede Lebensmittelkonsistenz das entsprechende Schneidwerkzeug geben.
»Um es mit meinem zu vergleichen. Ich habe das Gefühl, es schneidet nicht so gut.«
Sie sah mich an, als hätte ich über Nacht eine seltsame Wandlung durchgemacht, fragte aber nicht weiter. »Magst du einen Kakao?«
»Gerne.«
Die Küche war erfüllt von der Wärme, die der Backofen ausströmte. Ich schaute durch das Fenster aufs Backblech. »Was wird das?« Es sah aus wie ein flacher Nusskuchen, duftete aber herzhaft.
»Hundekekse für Rosa. Ich musste mir irgendwie die Zeit vertreiben. Im Hotel hat mir gestern eine Hundebesitzerin davon vorgeschwärmt. Es geht ganz einfach. Du mischst zu gleichen Teilen Rinderhack und Hirseflocken, fügst Öl und Wasser hinzu und lässt das Ganze zwei Stunden bei hundertfünfzig Grad im Ofen.«
Dem Aussehen der Kekse nach zu urteilen, mussten die zwei Stunden bald um sein. »Wie lange bist du schon wach?«, fragte ich.
»Ich habe gar nicht richtig geschlafen.« Sie goss warme Milch in einen Becher und rührte gesüßtes Kakaopulver hinein. »Hier, das wird dir guttun.«
Wir setzten uns an den Tisch, wo bereits eine halb volle Tasse Kakao stand. Daneben lag ein aufgeschlagenes Buch über Bonsais. Mir wurde das Herz schwer.
Sie folgte meinem Blick. »Dein Vater hat mir übrigens gestern Abend einen vor die Tür gestellt. Es ist so ein kleines, dürres Ding aus der Gärtnerei.« Mit Daumen und Zeigefinger einer Hand rieb sie sich über die Augen. »Er hat einen Brief dazugelegt. In dem steht, er wisse, dass so ein Bäumchen für eine gestandene Bonsaizüchterin einer Beleidigung gleichkomme. Aber vielleicht sei es auch eine Herausforderung, es durchzubringen und etwas daraus zu machen.«
Ich sah meinen Vater vor mir, wie er den Brief schrieb. Wie er jedes Wort fünf Minuten lang auf die Goldwaage legte, bevor er es zu Papier brachte. Ich hätte ihn dafür umarmen können. Und meine Mutter machte den Eindruck, als ginge es ihr ähnlich.
»Was für ein Baum ist es denn?«, fragte ich.
»Eine Ulme.«
»Und hat sie Chancen?«
»Jetzt schon«, meinte sie mit einem Lächeln. Sie schlug das Buch zu und schob es zur Seite. »Deine neue Mitarbeiterin ist übrigens sehr nett.«
»Ihr habt Tee zusammen getrunken, hat sie erzählt.«
»Ja. Was mir besonders an ihr gefällt, ist ihre unbeschwerte Fröhlichkeit. Daran fehlt es hier auf dem Hof. Das wird uns allen guttun.«
Der Küchenwecker schrillte. Meine Mutter stand auf, schaltete den Backofen aus und holte das Blech heraus. Sie stach mit einem kleinen Messer in die undefinierbare Masse und nickte zufrieden. »Das scheint was geworden zu sein. Wenn sie abgekühlt sind, gebe ich dir gleich ein paar mit.« Sie kam zurück zum Tisch, setzte sich und ließ den Kopf in die Hände sinken. »Weißt du, Kris, als letzte Woche das mit der Kerze geschah, ist mir einmal mehr bewusst geworden, wie sehr Bens Verschwinden unser aller Leben verändert hat. So viele Freundschaften sind darüber kaputtgegangen. Und das meine ich nicht als Vorwurf. Es ist einfach geschehen. Für die anderen muss es genauso schwer gewesen sein, mit mir
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