Das verstummen der Kraehe
vorgeschlagen. Aber für Tilman kam eine Adoption nicht infrage.«
»Wieso nicht?«
»Es hätte ihn in seinem männlichen Stolz gekränkt.« Sie zögerte. »Es ist bloß eine Vermutung, es kann sich auch völlig anders verhalten haben, aber manchmal habe ich mich in den vergangenen Jahren gefragt: Warum für etwas nach Tschechien reisen, das man auch hier haben kann?«
»Präimplantationsdiagnostik war zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland verboten.«
»Wenn man aber eine Freundin hat, die Humangenetikerin ist?«
»Dann ist es immer noch verboten.«
Sie setzte sich aufrecht hin. »Stellen Sie sich vor, eine gute Freundin wünscht sich nichts sehnlicher als ein gesundes Kind, und Sie könnten ihr dazu verhelfen. Würden Sie ihr diesen Freundschaftsdienst verweigern?«
Vermutlich nicht. »Dafür hätte Beate Angermeier ins Gefängnis gehen können.«
»Wenn es rausgekommen wäre. Tilman und Rena hätten sie ganz bestimmt nicht verraten.«
Ich vergegenwärtigte mir noch einmal das Treffen der Erben, bei dem ich einen Eindruck von Beate Angermeier bekommen hatte. Sie hatte für meinen Geschmack zu ehrgeizig und zu wenig emotional gewirkt, um sich allein von Freundschaft leiten zu lassen. »Welche Motivation hätte Frau Doktor Angermeier haben sollen, ein solches Risiko einzugehen – abgesehen von freundschaftlicher Verbundenheit?«
Nadja Lischka zuckte die Schultern. »Sie geht völlig in ihrem Beruf auf und hat ähnlich wie ihr Mann ziemlich liberale Ansichten. Wenn in unserer Freundesrunde die Sprache auf das Thema Fortpflanzungsmedizin kam, ist sie mit Konstantin des Öfteren aneinandergeraten.«
Ich runzelte die Stirn. Wenn man zwei gesunde Kinder hatte, war es leicht, sich liberalen Ansichten zur Präimplantationsdiagnostik zu verschließen. »Haben Sie mit Ihrem Mann über Ihre Vermutung gesprochen? Oder hat er selbst einmal einen dahin gehenden Verdacht geäußert?«
»Wir haben darüber gesprochen, ein einziges Mal, aber da hat er meinen Verdacht völlig abgetan. Als es dann mal wieder zu einer Diskussion mit Beate kam, hat er sich ein paar Tage später in das Thema reingekniet, er hatte sogar vor, einen Artikel darüber zu schreiben.«
»Wusste Beate Angermeier davon?«
»Oh ja, Konstantin hat an Fritz’ Geburtstag so etwas angedeutet.«
»Am vierzigsten Geburtstag? Am Abend bevor Ihr Mann umgebracht wurde?«
Sie nickte.
»Hm …« Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. »Damit könnte Beate Angermeier ebenfalls ein Motiv haben. Aber dann stellt sich die gleiche Frage wie bei ihrem Mann Christoph: Warum wurde Fritz Lenhardt ans Messer geliefert?«
»Vielleicht aus demselben Grund. Fritz wäre ganz sicher nicht damit einverstanden gewesen, dass in seinem Institut PID praktiziert wird. Ich weiß nicht, wie der Vertrag zwischen den Partnern ausgestaltet ist, aber ein solcher Verstoß hätte mit Sicherheit zur Kündigung der Partnerschaft geführt.«
Ich versuchte mir vorzustellen, wie Beate Angermeier Konstantin Lischka mehrmals ein Messer zwischen die Rippen rammte. Es wollte mir ebenso wenig gelingen wie bei ihrem Mann oder Tilman Velte. »Trauen Sie Ihrer Freundin Beate einen Mord zu?«
Die Frage schien sie unangenehm zu berühren. Als würde sie sich erst jetzt bewusst, was sie da in den Raum gestellt hatte. »Nein, natürlich nicht!«
»Und Christoph Angermeier oder Tilman Velte?«
Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Aber ich habe auch Fritz keinen Mord zugetraut.«
Der Kellner räumte die Teller ab und wollte wissen, ob wir noch einen Wunsch hätten. Nachdem wir zwei Espressos bestellt hatten, verschwand Nadja Lischka zur Toilette. Ich ließ mich gegen die Stuhllehne sinken und fragte mich, ob – wenn man nur tief genug grub – in jedem Freundeskreis solche Geschichten ans Tageslicht kämen. Ich war versucht, diese Frage mit Ja zu beantworten. Seit Jahren verbrachte ich meine schlaflosen Nächte mit der Lektüre persönlicher Aufzeichnungen und Briefe. Was ich da zu lesen bekam, unterstützte meine These.
»Dann fasse ich jetzt mal zusammen«, setzte ich an, als sie an den Tisch zurückkehrte. »Von den fünf möglichen Erben, die Theresa Lenhardt benannt hat, hätten mindestens drei, nämlich die Angermeiers und Tilman Velte, ein Motiv für den Mord an Ihrem Mann gehabt. Was ist mit Rena Velte?«
»Sie hatte kein Motiv. Ihr hätte man schließlich nichts anhaben können, wenn die PID-Geschichte sich so zugetragen hätte und herausgekommen wäre.«
»Hätte sie aber
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