Das verstummen der Kraehe
lächelte, bevor er ohne ein weiteres Wort ging.
Ich lehnte mich in den Türrahmen und versuchte, dem Durcheinander in meinem Kopf beizukommen. Es war zwecklos.
»Weißt du, was meine Mutter jetzt sagen würde?«, hörte ich Funda fragen. »Hüte dich vor Männern, die deine Wangen erst rosig und dann aschfahl werden lassen.«
»Ist das ein türkisches Sprichwort?«
»Nein. Lebenserfahrung.«
Vor dem Termin mit den Erben hatte ich mit Henrike noch etwas Geschäftliches zu klären. Bisher hatte unsere berufliche Zusammenarbeit ausschließlich darin bestanden, dass ich sie mit Haushaltsentrümpelungen beauftragte. Durch ihre Teilnahme an dem Treffen würde ich sie erstmals sehr viel weiter in meine Arbeit einbinden, und das durfte nicht unentgeltlich geschehen. Als ich ihr vorschlug, ihren Einsatz mit dem für die Entrümplungen üblichen Satz in Rechnung zu stellen, wehrte sie entschieden ab. Sie könne bei dem Gespräch mit den Erben schließlich jede Menge für ihren Krimi lernen, und dafür würde sie sich nicht bezahlen lassen. Da könne ich mich auf den Kopf stellen, wenn ich wollte.
Nach einigem Hin und Her gab ich nach und berichtete ihr von meinem Treffen mit Nadja Lischka. Wir verabredeten, die ungeduldigen Freunde zunächst lediglich nach ihren Alibis für Donnerstagnachmittag und Montagabend zu fragen. Es war ungefähr Viertel nach fünf gewesen, als ich in Theresa Lenhardts Arbeitszimmer das Rollo hochgezogen hatte und sich kurz darauf der anonyme Anrufer gemeldet hatte. Da von ihm vermutlich die Kondome und die Fotos stammten, musste er sich in der Nähe des Hauses aufgehalten haben. Der Überfall an der Würm hatte am Montagabend um kurz nach neun stattgefunden.
Als wir vollzählig waren, stellte ich ihnen Henrike als Mitarbeiterin vor, die in meinem Auftrag Notizen von dem Gespräch machen sollte. Wir saßen jeweils am Kopfende des Tisches, die fünf nahmen ihre Plätze vom ersten Treffen ein. Auf der einen Seite Beate und Christoph Angermeier und Nadja Lischka, ihnen gegenüber die Veltes.
Die Blicke, mit denen sie mich ansahen, hatten sich seit dem letzten Mal gewandelt. Am Freitag war mir geballtes Wohlwollen entgegengeflossen. Sie waren überzeugt gewesen, mich leicht auf ihre Seite ziehen zu können. Heute schwang bei den Angermeiers und den Veltes latente Verärgerung mit. Ging es darum, dass ich in ihrem Privatleben herumwühlte? Lag es daran, dass sie meinen Einladungen folgen mussten? Oder daran, dass ich mehr als zehn Jahre jünger war und die Regeln bestimmte? Sie waren es beruflich nicht gewohnt, sich einem Vorgesetzten unterzuordnen. Und nun hatte Theresa Lenhardt mich ihnen auf dem Weg zu einem beträchtlichen Erbe als Hindernis in den Weg gestellt. Die Kröte, die sie schlucken mussten, war ziemlich fett.
Ich betrachtete jeden Einzelnen von ihnen und fragte mich, ob mein Angreifer unter ihnen war. Die Erinnerung an den Montagabend saß mir immer noch im Nacken. Die Angst, die ich ausgestanden hatte, spürte ich körperlich. Hier an diesem Tisch, im Hellen, konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass einer von ihnen mich überfallen hatte. Aber im Dunkeln hätte es jeder von ihnen sein können.
Noch bevor ich das Gespräch eröffnet hatte, meldete Tilman Velte sich zu Wort. »Bevor wir zu Ihren Tagesordnungspunkten kommen, Frau Mahlo, haben wir als zukünftige Erben ein Anliegen, das ein wenig eilt. Und zwar geht es um die Anlage von Theresas Vermögen. Sollte unsere Freundin nichts geändert haben, ist ein beträchtlicher Teil des Betrages in Aktien angelegt. Derzeit fällt der Dax, es ist nicht abzusehen, wie die Börse sich weiter entwickelt. Wenn ich richtig informiert bin, ist es Ihre Aufgabe als Testamentsvollstreckerin, dafür zu sorgen, dass das Vermögen erhalten bleibt. Ich weiß nicht, wie viel Sie von Vermögensverwaltung verstehen …« Es klang so, als hege er ernsthafte Zweifel, dass ich überhaupt etwas davon verstand. Durch ein gewinnendes Lächeln versuchte er die Botschaft zu entschärfen.
Ich ließ ihn einen Moment lang schmoren, bevor ich darauf einging. »Sie sind völlig richtig informiert, was meinen Aufgabenbereich anbelangt. Es gibt da allerdings ein paar juristische Feinheiten zu beachten. Ich habe das Nachlassgericht informiert, dass ich die Testamentsvollstreckung annehme. Ich bin zwar offiziell rückwirkend zum Todestag von Frau Lenhardt für ihr Erbe zuständig, aber weitreichende finanzielle Entscheidungen kann ich erst veranlassen, wenn mir das
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