Das verstummen der Kraehe
Testamentsvollstreckerzeugnis als Legitimation vorliegt.«
Das Lächeln stand immer noch in seinem Gesicht. »Dann biete ich Ihnen hiermit ganz offiziell meine Hilfe an. Ich arbeite zwar inzwischen als Unternehmensberater, wie Sie vielleicht wissen, habe aber viele Jahre lang Erfahrungen in der Vermögensverwaltung sammeln können. Und ich wage mal zu behaupten, dass ich immer noch ganz gut darin bin. Was meinen Sie?«
Vermutlich hatte er gerade von seiner Arbeit als Bankangestellter gesprochen. Über die unschönen Erfahrungen, die sein Arbeitgeber und dessen Kunden mit ihm hatten sammeln können, war er elegant hinweggegangen. »Danke für Ihr Angebot.« Ich legte die Unterarme auf den Tisch, faltete die Hände und beugte mich ein wenig vor. Ich blickte in die Runde. »Es gibt einen Grund, aus dem ich Sie heute hierhergebeten habe.«
»Hoffentlich einen positiven«, sagte Christoph Angermeier mit seiner rauen, tiefen Stimme.
Ich betrachtete ihn sekundenlang. Einmal mehr fiel mir auf, wie grobschlächtig er mit seinem kahl geschorenen Kopf und dem muskulösen Körper wirkte. Einen Halbgott in Weiß stellte ich mir anders vor. Trotzdem hütete ich mich davor, von seinem Aussehen auf seinen Umgang mit Patientinnen zu schließen. Die sexuelle Nötigung war ein Gerücht, mehr nicht.
»Ich würde gerne mit Ihnen über Ihre Alibis sprechen.«
Er rückte seinen Stuhl ein Stück vom Tisch weg und ließ sich mit einem sehr beredten Stöhnen gegen die Lehne sinken. »Dafür bestellen Sie uns hierher? Das können Sie alles in den Akten nachlesen.«
»Erstens hat Theresa Lenhardt alle Unterlagen, die mir zugänglich gewesen wären, vor ihrem Tod vernichtet. Und zweitens steht das, was ich von Ihnen wissen möchte, ganz sicher nicht darin. Mich interessiert, wo Sie jeweils am vergangenen Donnerstag um siebzehn Uhr fünfzehn und am Montagabend gegen einundzwanzig Uhr waren.«
Im ersten Moment war es still im Raum, dann redeten alle durcheinander. Was ich mir einbildete, was das sollte, worauf ich überhaupt hinauswollte? Ob sie sich das überhaupt antun müssten? Ich forschte in ihren Gesichtern nach Anzeichen dafür, dass sich einer oder eine von ihnen ertappt fühlte.
»Sie müssen gar nichts«, ging ich auf den Einwurf von Beate Angermeier ein, als der Lärmpegel etwas gesunken war. »Hier ist alles auf freiwilliger Basis. Es ist allein Ihre Entscheidung, ob Sie meine Frage beantworten oder nicht.«
»Weswegen wollen Sie das überhaupt wissen?«, fragte Rena Velte, die ihr rotblondes Haar auch heute zu einem Zopf geflochten hatte.
»Wegen zweier Vorkommnisse, die vermutlich im Zusammenhang mit dieser Testamentsvollstreckung stehen.«
»Verraten Sie uns auch, worum es da geht?«, warf Tilman Velte ein, während er von einer der Manschetten seines blütenweißen Hemdes einen Fussel entfernte.
»Am vergangenen Donnerstag habe ich einen anonymen Anruf erhalten, es wurde ein Kondom unter meinem Scheibenwischer deponiert, und es wurden Fotos von mir gemacht.«
»Und am Montag haben Sie vermutlich die Einladung eines unbekannten Verehrers erhalten«, meinte er scherzhaft. »Sollten zumindest wir Männer uns geschmeichelt fühlen, dass Sie da sofort an uns denken?«
»Bei meinen Gedanken würde sich vermutlich keiner von Ihnen geschmeichelt fühlen. Mögen Sie beginnen, Herr Velte? Wo waren Sie am Donnerstag und am Montag zu den jeweiligen Uhrzeiten?«
Er griff nach seinem Smartphone und scrollte zu seinem Terminkalender. »Also: Am Donnerstag habe ich mir ab sechzehn Uhr eine Trainingseinheit auf meinem Rennrad gegönnt. Leider ohne Zeugen.« Er scrollte weiter. »Am Montagabend hatte ich im Bayerischen Hof ein Geschäftsessen mit einem sehr sympathischen Unternehmerehepaar, das meine Dienste in Anspruch nehmen möchte. Allerdings wäre es in meinem Metier eher geschäftsschädigend, Kunden als Zeugen heranzuziehen. Dafür haben Sie sicher Verständnis.«
»Danke, Herr Velte.«
»Ich habe noch eine Frage zum Donnerstag«, schaltete sich Henrike ein. »Eine Trainingseinheit auf Ihrem Rennrad, sagten Sie. Wo genau sind Sie gefahren?«
»Am Starnberger See. Ich bin mit dem Auto nach Berg und von dort losgefahren.«
»Das ist ein ziemlicher Aufwand.«
Er sah sie spöttisch an. »Bevor es langweilig wird, betreibe ich gerne einen größeren Aufwand.«
»Fahren Sie öfter dorthin?«
»Hin und wieder.«
»Wo haben Sie Ihr Auto abgestellt?«
»Am Sportplatz.«
»Und am Montagabend im Bayerischen Hof – in welchem
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