Das verstummen der Kraehe
davon bekommen, wie es unverbrannt ausgesehen hat.«
Wir hatten bis kurz nach eins geschlemmt, die Musik aufgedreht und in den Sternenhimmel geguckt. Dann wurde es draußen zu kühl, und Simon, Rosa und ich waren nach Hause gelaufen. Es hatte mich einige Überredungskünste gekostet, Simon von dem kürzeren Weg durch den Park abzuhalten. Keine zehn Pferde hätten mich dazu bringen können, im Dunkeln noch einmal da entlangzugehen. Das entscheidende Argument waren letztlich meine High Heels, mit denen ich es auf den unebenen Wegen des Parks nicht heil nach Hause geschafft hätte.
Simon war sofort eingeschlafen, aber mir spukte zu viel im Kopf herum. Todmüde und erschöpft lag ich im Dunkeln und lauschte seinem leisen Schnarchen. Rosa hatte sich zu unseren Füßen eingerollt. Ich dachte an Ben und versuchte ihn mir als Informanten der Kripo vorzustellen. Ben war ein Tunichtgut gewesen mit allen möglichen Flausen im Kopf, aber hätte er andere bespitzelt, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen?
Vielleicht war auch das Bild, das ich von meinem Bruder hatte, ein falsches. Ich ließ mir Martin Cordes’ Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Und ich erinnerte mich an das Gespräch mit Nils und Bens angeblichen Scherz über die externe Festplatte, deren Inhalt einigen Leuten gefährlich werden konnte. Einmal angenommen, es wäre doch kein Spaß gewesen, wo hätte Ben diese Festplatte versteckt? Wo wäre ein sicherer Ort gewesen?
Ich stand auf, zog mir einen von Simons Pullis über T-Shirt und Schlafanzughose und schlich in die Küche, um mich mit einem Messer zu bewaffnen. Dann lief ich den kurzen Weg über den Hof. Nach einem schnellen Blick auf die Kerze, die ruhig in der Laterne brannte, stieß ich die Tür auf und verschwand im Haus. Der gelbe Zettel am Briefkasten meiner Mutter stach mir sofort ins Auge. Mein Vater hatte geschrieben: Hast du Lust auf griechisches Essen? Ich könnte uns einen Tisch reservieren. Den Zettel hatte er vermutlich erst am Abend hingeklebt, denn meine Mutter hatte noch nicht geantwortet. Vielleicht war das Bonsaibäumchen, das er ihr geschenkt hatte, ein Anfang gewesen. Es wurde allmählich Zeit, dass die beiden ihr kindisches Verhalten beendeten und wieder wie Erwachsene miteinander umgingen. Ich bin dafür , schrieb ich auf den Zettel und fügte noch einen Smiley hinzu, bevor ich nach oben in meine Wohnung schlich.
Mit einem Becher Kaffee lief ich fünf Minuten später die Stufen zur Dachwohnung hinauf. Ich schloss leise die Tür hinter mir, schaltete das Licht ein und bewegte mich vorsichtig und auf Zehenspitzen, damit mein Vater einen Stock tiefer nicht vom Knarren der Dielen geweckt wurde. In Bens Zimmer zog ich die Gardinen zu. Dann durchsuchte ich es zum x-ten Mal. Zum x-ten Mal ohne Erfolg. Ich nahm mir auch die leeren Zimmer, Küche und Bad vor und musste mir schließlich eingestehen, dass es sinnlos war. Wäre diese Festplatte in der Wohnung, hätte einer von uns sie längst entdeckt.
Schließlich machte ich mich daran, Henrikes Vorschlag in die Tat umzusetzen und die Rückseiten der Zeitungsausschnitte, Zettel, Bierdeckel und Fotos zu prüfen. Eines der Fotos zeigte den ehemaligen Hühnerstall im hinteren Garten. Durch die offene Tür Bens heiß geliebtes Stofftierhuhn aus Kindertagen. In eine Sprechblase hatte Ben geschrieben Hab gerade ein Ei gelegt . Immer wenn ich dieses Foto ansah, wurde mir warm ums Herz. Als kleiner Junge hatte Ben das Huhn geliebt, es saß heute noch neben seinem Bett.
»Das Huhn«, sagte ich laut in den Raum. Warum war ich darauf nicht eher gekommen? Dabei hatte ich doch mehrfach im Fernsehen gesehen, dass in Stofftieren immer der entscheidende Hinweis verborgen war. Ich nahm das Huhn und knetete es so lange durch, bis ich mir eingestehen musste, dass Ben diese Krimis offensichtlich nicht gesehen hatte. Enttäuscht stellte ich es zurück neben sein Bett und setzte meine Suche an der Wand fort. Aber die war ebenso wenig von Erfolg gekrönt. Nach einer knappen Stunde bestand meine Ausbeute in einer einzigen Visitenkarte. Sie stammte von der Kneipe, in der Ben gejobbt hatte. Auf der Rückseite stand: Falls du es dir anders überlegst, melde dich! Robin. Er hatte noch ein kleines Herz danebengekritzelt. Hatte Ben ihn abblitzen lassen? Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass diese Nachricht mit seinem Verschwinden zu tun hatte, schob ich die Karte in die Tasche meiner Schlafanzughose.
Zurück in meiner Wohnung, legte ich mich aufs
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