Das verstummen der Kraehe
sie nach Robins Nachnamen und Adresse.
»Ich kann dir ihre Telefonnummer geben.«
»Weißt du zufällig, was Ben mit ihr zu tun hatte?«, fragte ich.
»Robin war meine Lebensgefährtin. Er ist ihr hin und wieder hier begegnet, wenn sie mich besucht hat. Mehr hatte er nicht mit ihr zu tun.«
»Habt ihr euch getrennt?«
»Vor zwei Jahren.« Sie stellte zwei Latte macchiato vor uns hin und deutete auf die Barhocker. »Setzt euch. So viel Zeit muss sein.«
Henrike schob ihren Latte macchiato ein Stück von sich. »Danke, aber ich trinke keinen Kaffee.«
»Einen Tee?«
»Ein Wasser wäre toll.«
Ines füllte ein Glas mit Mineralwasser, reichte es Henrike und wandte sich dann wieder an mich. »Gibt es etwas Neues von Ben?« Sie fragte mit einer spürbaren Zurückhaltung, so als könne dieses Neue nur etwas Schlechtes bedeuten.
Ich nickte. »Er wurde vor seinem Verschwinden mit jemandem gesehen. Der Zeuge ist inzwischen leider tot, er kann nicht mehr sagen, mit wem er Ben beobachtet hat.« Ich nahm einen Schluck von dem Latte macchiato.
»Und du glaubst, das sei Robin gewesen?«
»Nein. Aber wir haben Bens Sachen noch einmal durchsucht, und dabei ist mir das Kärtchen mit Robins Nachricht in die Hände gefallen.«
»Du suchst immer noch nach einem Strohhalm.« Ihr Ton war voller Mitgefühl, doch ich spürte deutlich, dass sie meine Mühe für zwecklos hielt.
»Ines, gibt es vielleicht irgendetwas, das du damals nicht gesagt hast?«
»Ich?« Sie lachte. »Ich habe noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Nicht zuletzt deshalb ist Robin auf und davon. Sie mag es gern ein wenig mehr durch die Blume.« Ines fuhr sich mit einer schnellen Bewegung über die Stirn, als habe sie Kopfschmerzen.
Henrike trank ihr Wasser in einem Zug und stellte das leere Glas zurück auf den Tresen. »Manchmal hält man Begebenheiten für unwichtig und erwähnt sie deshalb nicht.«
»Nachdem Ben nicht wieder aufgetaucht ist, habe ich mir unglaublich viele Gedanken gemacht. Glaub mir, ich hätte sogar erwähnt, wenn er Blähungen gehabt hätte. Ich hatte Ben ins Herz geschlossen. Selbst Robin …« Sie schien sich an etwas Unangenehmes zu erinnern.
»Selbst Robin …?«, half Henrike nach.
»Selbst Robin mochte ihn. Sie fand ihn sympathisch, intelligent und für einen Mann ungewöhnlich attraktiv.«
»Willst du damit andeuten, dass sie ein Auge auf ihn geworfen hatte?«
»In gewisser Weise, aber nicht so, wie du dir das vorstellst. Als bei uns noch alles gut lief, hatten wir eine Zeit lang ziemlich intensiv über ein Kind nachgedacht. Wie es wäre, gemeinsam eines großzuziehen, und was wir tun müssten, um überhaupt eines in die Welt zu setzen. Ich kann keine Kinder bekommen, aber Robin hätte gekonnt. Sie hat Ben eines Tages um eine kleine Spende gebeten.«
»Um was?«, fragte ich irritiert.
»Um eine Samenspende«, antwortete Henrike trocken und ließ Ines dabei nicht aus den Augen. »Ich vermute, er hat Nein gesagt?«
»Beim ersten Mal schon, aber Robin hat nicht lockergelassen. Schließlich meinte er, er würde es sich überlegen. Ich schätze mal, dass aus dieser Phase ihre Nachricht auf dem Kärtchen stammt.«
»Und?«, fragten Henrike und ich wie aus einem Mund.
»Ich war dagegen. Nicht gegen die Idee mit der Samenspende, die fand ich eigentlich gar nicht schlecht. Aber ich wollte keinen Spender, den ich kenne und der uns kennt.« Sie stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tresen und schien ihren Gedanken nachzuhängen. Dann schüttelte sie den Kopf und lachte. »Dein Bruder fand schließlich, die Sache mit der Samenspende sei eigentlich eine gute Geschäftsidee. Ob es in unserem Umfeld nicht zahlungskräftige Paare gebe, die an erstklassigem Sperma von einem intelligenten, attraktiven Mann mit hervorragenden Genen interessiert seien. Das war typisch für ihn.«
»Und konntest du ihm jemanden nennen?«, fragte ich.
»Bist du verrückt? Mit so etwas kannst du dich nur in die Nesseln setzen.«
»Hast du eine Ahnung, ob er diese Idee weiter verfolgt hat?«
Sie sah mich an, als hätte ich die Antwort auf meine Frage längst kennen müssen. »Ben hat doch ständig irgendwelche Ideen in seinem Kopf gewälzt. Du weißt selbst, was dabei herausgekommen ist. In den meisten Fällen gar nichts.«
Eine der Kellnerinnen fragte nach ihrer Bestellung. An Tisch sechs würden die Leute allmählich ungeduldig. Ines entschuldigte sich und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Während sie drei Latte macchiato und zwei
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