Das vertauschte Gesicht
also wieder?«
»Ich erkenne das meiste wieder.« Der Junge sah auf die düstere Landschaft auf dem Cover. »Vielleicht hat mich diese grässliche Landschaft dazu gebracht, mich nach der Sonne zu sehnen.« Er öffnete die Hülle. »Wir hatten zwei davon«, sagte er.
»Genau das wollte ich fragen«, sagte Börjesson.
»So schlecht sind die Sachen gar nicht, wenn man mal von der Produktion selbst absieht.«
»Sie können sich nicht erinnern, an wen Sie sie verkauft haben?«
»Machen Sie Witze? Erstens arbeite nicht nur ich hier, und zweitens kann ich mich besser an Umschläge als an Gesichter erinnern.« Er drehte die Hülle, betrachtete die Bilder der Dunkelmänner vor dem grellbunten Hintergrund. »Manchmal erinnere ich mich, wem ich was abgekauft habe. Manche kommen mit Stapeln von CDs. Manchmal sind echte Fundstücke darunter.« Er sah Börjesson an. »Dies hier gehört wohl ins Grenzgebiet.« Er nahm das Textheft hervor und schlug es auf. »Warum ist das so interessant?«
»Die Musik gehört zu einem Fall, an dem wir arbeiten«, sagte Börjesson.
»Diesem Mord, von dem ich gelesen habe?« »Warum fragen Sie das?«
»Tja... das liegt doch wohl nahe, oder?« Der Verkäufer sah Börjesson an. »Das hier ist ja etwas bluttriefend. Aber trotzdem ziemlich brav.« Er lachte. »Das Blut tropft, das Blut tropft.«
»Erinnern Sie sich denn, wann Sie diese CD eingekauft haben?«
»Wirklich nicht. Vielleicht war ich das auch gar nicht selbst. Nein, ich war das nicht. Haben Sie die anderen schon gefragt?« »Ja. Die erkennen die CD überhaupt nicht.«
»Dann war ich es vielleicht doch... ich erinnere mich ja, dass wir diesen... mal sehen... wir hatten also zwei, die eine gab es tatsächlich schon, als ich hier anfing... das Ding ist ja schon ein paar Jahre alt... « Er verließ den Tresen und ging zu einer Ecke mit Hardrock-CDs und blätterte. »Nichts da. Wir hatten zwei, aber nicht gleichzeitig.«
Börjesson dachte nach. Jemand im Hintergrund hatte die Musik gewechselt und Led Zeppelin aufgelegt.
»Als ich ging, gab es ein Exemplar«, sagte der Junge und sah Börjesson an. Sie waren etwa gleichaltrig. »Als ich zurückkam, war sie weg.«
»Okay.«
»Und wir verkaufen an so viele, dass man sich unmöglich an alle erinnern kann, das werden Sie verstehen.« »Klar, verstehe.«
Börjesson sah sich um. In dem großen Raum, in dem sie sich befanden, waren mehr als zwanzig Personen, alle männlichen Geschlechts. Die meisten waren Jugendliche, aber auch einige Männer in den Dreißigern blätterten die CDs in den Fächern durch, und in diesem Augenblick kam einer um die fünfundvierzig mit einem Stapel LPs unter dem Arm herein, nach ihm zwei junge Mädchen.
»Das Personal wechselt ja auch. Im letzten Jahr haben einige angefangen, andere aufgehört.«
»Die Geschäfte gehen gut?«
»Das kann man so sagen.« Der junge Mann kehrte an den Tresen und zu dem Stapel CDs zurück, die jetzt Gesellschaft von den Platten bekommen hatten. Er blieb stehen, drehte sich wieder zu Börjesson um. »Wo ich Sie gerade in Uniform sehe, fällt mir jetzt tatsächlich einer ein, der manchmal kam und die Sachen durchcheckte. Einige Male. Also ein Bulle. Es war kurz bevor ich gefahren bin.«
»Ein Bulle? Ein Polizist? Wie wissen Sie das?«
»Ich erkenn doch hoffentlich eine Polizeiuniform. Den Mann würde ich nicht wiedererkennen, aber die Uniform.«
»Was heißt, er checkte die Sachen durch? Sie meinen... als Kunde?«
»Na klar.«
»Ist das ungewöhnlich?«
»Dass Polizisten in Uniformen reinkommen und CDs checken? Er ist der Einzige, den ich gesehen hab. Sie müssen die anderen fragen. Hat niemand was darüber gesagt?«
»Nein.«
Er sah Börjesson wieder an. »Haben Sie denn Zeit, während der Arbeitszeit CDs zu kaufen?«
Die Frau wiederholte ihre Worte. Winter nahm den Blick vom Foto.
»Haben Sie's nicht kleiner?«, fragte sie.
»Leider nein.« Er sah wieder zu dem Bild hinter ihr.
»Hat dieser Laden mal Manhattan Livs geheißen?«, fragte er und zeigte auf das Foto. Sie drehte sich mit dem Stuhl herum, guckte und kreiselte wieder nach vorne.
»Ich weiß nich«, antwortete sie. »Hab gerade angefangen hier.«
Winter wusste, dass der Ladenbesitzer ein Mann war. Sie hatten die Leute in der Umgebung routinemäßig gefragt, und er hatte das Vernehmungsprotokoll gelesen, genau wie alles andere der Ermittlungen.
»Bertil kommt heute Abend, ihm gehört der Laden.«
»Kann ich bitte seine Telefonnummer haben?«
Bertil
Weitere Kostenlose Bücher