Das vertauschte Gesicht
eigenes Schluchzen. Er wusste, dass es jemanden gab, der zuhörte, aber dieser... Satan hatte sich noch nicht gezeigt.
Er wollte nicht, dass es still war, und ging zum Plattenspieler, suchte eine LP heraus, legte sie auf und summte zur Musik, the old home town looks the same, as I Step down from the train. Er sang mit, das war Musik, die würde ihr gefallen, das Gefühl hatte er gehabt, als er Tom Jones zum ersten Mal für sie aufgelegt hatte, aber sie hatte ihn ausgelacht. Nicht wie später, als sie ihm das... Schreckliche angetan hatte. Stell das ab, hatte sie lachend gesagt. Das erinnert mich an zu Hause. Himmel, hahaha, hör auf, bevor ich sterbe.
Sie hatte seine Plattensammlung durchwühlt und noch mehr gelacht.
»So was hörst du dir an? Nee, ich glaub, ich sterbe.« Haha. Hahaha.
Fast wie in dem Moment, als es passierte. Er hätte es begreifen müssen.
»Was ist los?«, hatte der Vater einmal gefragt. »Irgendwas ist mit dir.« Als er das nächste Mal nach Hause gefahren war, hatte er gar nichts mehr gesagt, weil er nichts mehr sagen konnte oder? Nie mehr.
Das ganze Zimmer wurde von der Sonne erhellt, die hervorgekommen war. Die Fotografie verschwand im Licht, verbrannte. Jetzt kann ich es vergessen, dachte er.
Fredrik Halders und Aneta Djanali statteten dem Trendfriseur »Hair« einen Besuch ab.
»Unisex«, sagte Halders. Junge Männer und Frauen schnitten jungen Männern und Frauen die Haare. Solche Läden hatte Halders hinter sich gelassen. Er sah seine kurz geschnittenen Haare in den vielen Spiegeln. Da gibt's für einen Haarkünstler nichts zu tun, aber jedenfalls habe ich meinen Kopf behalten, dachte er.
»Gehst du in solche Läden?«, fragte er.
»Wie?«
»Ob du dir deinen Afrolook in solchen Läden richten lässt?«
»Shut up«, sagte Aneta Djanali zu Halders im Spiegel. Sie waren ein merkwürdiges Gespann. Das dachte sie nicht zum ersten Mal.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine etwa dreißigjährige Frau, die links aus einem Zimmer gekommen war und sich hinter dem Tresen mit der Kasse aufgebaut hatte, wo sie warteten.
Sie war groß, vielleicht einsachtzig, und trug eine schwarze Bluse und einen schwarzen Rock. Ihre Haare waren seitlich gescheitelt, eine scheinbar einfache Fris ur. Halders sog all die guten Düfte in sich ein und lauschte auf die Musik vom kommerziellen Kanal. Hier drinnen fühlte er sich plump, und so fanden ihn alle anderen vermutlich auch. Hier sind doch alle schwu... nee, jetzt reiß dich mal zusammen. Du bist mit Aneta hier. Du musst zeigen, dass du es kannst. Scheiß auf die Schwulen.
»Wir wollten Ihnen ein paar Fragen über Louise Valker stellen«, sagte Aneta Djanali und zeigte ihren Ausweis. »Wir kommen von der Kriminalpolizei.« Die Frau nickte ernst. »Ist das Ihr Unternehmen?«
»Ja. Ich heiße Irma Fletcher.« Sie schaute zu der Tür, durch die sie gerade gekommen war. »Wir können in mein Büro gehen.«
Sie saßen um einen ovalen Glastisch, auf dem Hochglanz-Illustrierte lagen. Auf den Covern sah Halders nur Frauenköpfe, für einen Moment schloss er die Augen und richtete den Blick dann auf die Wand, an der schwarzweiße Modeplakate mit Frauen hingen, die zerrissene Kleider trugen. Es sah aus, als hätte man sie mit Blut eingeschmiert. Eine Frau lag mit auffallend starrenden Augen am Boden. Im Hintergrund war undeutlich ein männliches Wesen im Profil mit Hut und Mantel und einem Maschinengewehr zu erkennen. Halders sah die Silhouette und vermutete, dass es eine Uzi-Attrappe war.
»Was zum Teufel ist das da?« Er nickte zur Wand.
»Was?« Die Ladenbesitzerin drehte den Kopf.
»Was ist das? Haben Sie die Bilder bei der Kriminaltechnik geklaut? Von einem Mordtatort?«
Sie schaute auf die Wand, und sie sahen beide, dass sie rot wurde. Ihr ist alles Blut ins Gesicht gestiegen, dachte Aneta Djanali. Gleich löst sich die Schminke in der Körperwärme auf. »Oh, ich hab gedacht, wir hätten sie abgenommen. Das hat wohl jemand vergessen. Sie haben eine Weile da gehangen, und dann... dann übersieht man sie glatt.« Sie war immer noch flammend rot. »Wie entsetzlich unpassend.«
»Was ist das denn?«, beharrte Halders.
»Ehhh... das sind neue... Modeaufnahmen.« Sie sah auf die Wand. »Die sind in diesem Herbst in.«
»Soll das die Mode im Jahr Zweitausend sein?«, fragte Aneta Djanali.
»Blutverschmierte Models«, sagte Halders. »Du schöne neue Welt.«
Irma Fletcher sah aus, als würde sie vor Scham im Boden versinken. Plötzlich stand sie
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