Das verwundete Land - Covenant 04
kamen die Stiege herauf; Hände nestelten an dem Strang, der die Tür verschloß. Als die Ranke fiel, wuchtete er seine Schulter gegen die Tür, warf den Wächter von der Stiege. Sofort sprang er hinunter, versuchte zu fliehen.
Aber er hatte sich in der Höhe der Pfähle verschätzt, auf denen die Behausung stand. Er kam reichlich unbeholfen unten an und fiel vor der Stiege vornüber in eine Gruppe von Männern. Etwas traf ihn am Hinterkopf, und ein Schwindelgefühl suchte ihn heim. Er verlor die Gewalt über seine Gliedmaßen. An Armen und Haaren zerrten die Männer ihn auf die Beine. »Es ist dein Glück«, sagte einer von ihnen, »daß die Steinmeisterin dich wach zu sehen wünscht, sonst wollte ich deinen Schädel die Härte meiner Keule lehren.« Benommenheit lähmte Covenants Beine; der Cañon schien an einem Schüttelkrampf zu leiden. Die Holzheimer schleppten ihn mit wie eine Ansammlung loser Knochen. Sie brachten ihn zum Nordende des Cañons. Ungefähr fünfzig bis sechzig Schritte hinter dem letzten Haus blieben sie stehen. Im Stein unter Covenants Füßen klaffte ein senkrechter Riß. In ihn hatte man einen schweren hölzernen Pfahl von seiner doppelten Körpergröße gekeilt. Covenant stöhnte auf und versuchte sich zu wehren, aber er war hilflos. Die Männer drehten ihn so, daß er in die Richtung des Dorfs schaute, dann banden sie hinter dem Pfahl seine Hände zusammen. Er unternahm eine schwächliche Anstrengung, sie zu treten; prompt fesselten sie auch seine Füße. Sobald sie fertig waren, ließen sie ihn ohne ein Wort allein.
Als das Schwindelgefühl vergangen war und seine Muskeln sich zu erholen begannen, befiel Übelkeit Covenant; aber sein Magen war zu leer, er konnte sich nicht übergeben.
Die Häuser waren von seinem Standort aus buchstäblich unsichtbar, in der Düsterkeit des Cañons der Sicht entzogen. Nach einem Weilchen bemerkte Covenant jedoch, daß man diese Stelle mit großer Umsicht für den Pfahl ausgesucht hatte. Über ihm war die ostwärtige Wand der Schlucht durch eine tiefe Kluft gekennzeichnet; durch sie drang nun ein Streifen Helligkeit herein. Das Sonnenlicht sollte im Cañon als erstes auf ihn fallen.
Sekunde um Sekunde verstrich. Sonnenschein fuhr auf seinen Kopf herab wie eine Axt. Obwohl seine Stiefel ihn schützten, erfüllte Furcht ihn bis ins Mark. Der Puls schien ihm hinter den Augäpfeln zu pochen. Das Licht berührte sein Haar, seine Stirn, das Gesicht. Während das Holzheim noch im Düstern lag, erlebte er den Sonnenaufgang wie eine Verkündigung. Die Sonne trug eine Korona aus hellbraunem Dunst. Ein Hauch staubtrockener Hitze wehte heran. Verdammnis, schalt er insgeheim. Hölle und Verdammung!
Als die Helligkeit ihm direkt ins Gesicht schien und ihn blendete, so daß er das Holzheim nicht mehr erkennen konnte, überschüttete ihn plötzlich ein Hagel scharfkantiger Kiesel. Dutzende von Leuten bewarfen ihn mit kleinen Steinen. Er kniff die Augen zusammen und ertrug den Schmerz, so gut es ging. Als der Steinhagel aufhörte, hob er wieder den Blick und sah aus dem Dunkeln die Steinmeisterin herüberkommen.
Sie hatte ein langes eisernes Messer dabei, einschneidig und ohne Heft. Das schwarze Metall wirkte in ihrer Faust trostlos verhängnisvoll. Ihre Miene hatte nichts von all dem tiefen Jammer abgelegt; ebenso jedoch drückte sie eine verdorbene Exaltation aus, ununterscheidbar von blankem Wahnsinn. Zwanzig oder mehr Schritte hinter der Steinmeisterin stand Hohl. Die Holzheimer hatten ihn, um ihn handlungsunfähig zu machen, mit dicken Ranken umwunden; doch er schien die Fesseln gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Er hielt sich vollständig zurück, als sei er lediglich da, um Covenant sterben zu sehen. Aber Covenant fand keine Zeit, um sich Gedanken über Hohl hinzugeben.
Die Steinmeisterin beanspruchte seine Aufmerksamkeit. »Nun denn«, stieß sie rauh hervor. »Entschädigung. Ich werde dein Leben auslöschen, und dein Blut wird dem Holzheim Wasser verschaffen.« Sie senkte den Blick in den schmalen Spalt. »Und mit deinem weißen Ring werden wir die Steinmacht von der Sonnengefolgschaft zurückerhandeln.«
»Wo ist dein Orkrest? « erkundigte sich Covenant, krallte sich erneut an seine von der Not wiederbelebte Hoffnung.
»Orkrest?« wiederholte die Steinmeisterin argwöhnisch.
»Dein Sonnenstein.«
»Ach«, raunte sie, »Sonnenstein. Die Predigt spricht von derlei Dingen.« Bitterkeit verzerrte ihr Gesicht. »Sonnensteine sind erlaubt ... aber unsere
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