Das verwundete Land - Covenant 04
Steinmacht hat man uns genommen. Das ist ungerecht!« Sie betrachtete Covenant, als freue sie sich auf den Geschmack seines Bluts. »Ich habe keinen Sonnenstein, Halbhand.«
Keinen Sonnenstein? Inwendig geriet Covenant vollends aus der Fassung. Er hatte gehofft, an dem Stein seinen Ring zünden zu können. Aber die Steinmeisterin hatte keinen Sonnenstein. Keinen Sonnenstein. Die Sonne der Dürre troff auf ihn herab wie die helle, heiße Flut, die ihn ins Land getragen hatte. Unsichtbare Bestien mit Geierschwingen schienen über seinem Kopf zu flattern; sein Herz tat Schläge nahen Irrsinns. Ihm war, als könne er kaum die Stimme über das Gerausche erheben. »Aber wie ...? Ich dachte, jeder Steinmeister braucht einen Sonnenstein.« Er wußte, daß das nicht stimmte, doch er wollte sie zum Reden verleiten, Zeit gewinnen. Einmal war er bereits gestochen worden; eine zweite, ähnliche Verletzung wäre sicherlich sein Ende. »Wie sonst kannst du mit dem Sonnenübel tätig werden?«
»Es ist mühselig«, gestand die Steinmeisterin, obwohl die Begierde nicht aus ihrem Blick wich. »Ich muß Gebrauch von der Predigt machen. Der Predigt!« Unversehens spie sie in den Felsspalt zu ihren Füßen. »Viele Geschlechterfolgen lang hat Holzheim Steinmacht kein solches Wissen benötigt. Von einem Steinmeister zum anderen ist die Steinmacht weitergereicht worden, und mit ihr haben wir Leben geschaffen. Ohne sie jedoch müssen wir ums Dasein ringen, wie sich's gerade bewerkstelligen läßt.«
Die Sonne verursachte Covenant Schweißausbrüche; Schweiß juckte ihm im Bart und auf dem Rücken. Die Fesseln schnürten den Blutkreislauf in seinen Armen ein, bereiteten ihm in den Schultern Schmerzen. Er mußte mehrmals schlucken, um sich die Kehle zu klären. »Was ist das, die Steinmacht?«
Seine Frage verfehlte ihre Wirkung nicht. Er sah der Steinmeisterin sofort an, daß sie der Gelegenheit, über die Steinmacht zu sprechen, nicht zu widerstehen vermochte. Eine anfallartige Anwandlung von Liebe und Lust verzerrte ihr Gesicht. Sie senkte das Messer; ihr Blick nahm Covenant nicht mehr wahr. »Steinmacht«, seufzte sie inbrünstig. »Ach, die Steinmacht.« Unter dem grünen Gewand strafften sich ihre Brüste, als entsänne sie sich einer Verzückung. »Sie ist Macht und Herrlichkeit, Wohlstand und Behagen. Ein Stein vom wunderschönsten Grün, der von zahllosen Möglichkeiten strahlt, weit kälter als jeder andere Stein, wenn man ihn berührt. Daß soviel Macht in einem so kleinen, so lieblichen Gegenstand stecken kann! Denn die Steinmacht ist nicht größer als meine Handfläche. Der Stein ist flach, hat scharfe Ränder, als wäre er ein von einem größeren Brocken dieser Art abgesprungenes Stück. Und er ist über jedes Maß verehrungswürdig.«
Sie sprach weiter, nicht mehr dazu imstande, sich in ihrer Begeisterung noch zurückzuhalten. Doch infolge einer Aufwallung intuitiven Entsetzens überhörte Covenant ihre weiteren Äußerungen. Plötzlich war er davon überzeugt, daß der Talisman, den sie beschrieb, ein Bruchstück des Weltübel-Steins sein mußte. Die Vermutung durchschoß ihn wie ein fürchterlicher Blitzschlag. Sie erklärte soviel: die heillose Verfassung dieser Gegend; die relative Unbeschwertheit des Lebens dieser Holzheimer; ihre grundlose Bösartigkeit; die Besessenheit der Steinmeisterin. Denn der Weltübel-Stein war die Essenz des Bösen selbst, ein so furchtbares Übel, daß Covenant einst die Bereitschaft gehegt hatte, nicht nur Schaumfolgers, sondern auch das eigene Leben zu opfern, um diesen Inbegriff alles Schlechten ein für allemal auszutilgen. Für einen Moment der Betroffenheit glaubte er, es sei ihm doch nicht gelungen, den Stein zu vernichten, daß der Weltübel-Stein der Quell des Sonnenübels war. Aber dann fiel ihm eine andere Erklärung ein. Damals hatte der Verächter jedem seiner Wütriche ein Stück des Steins überlassen. Einer der Wütriche hatte einen Feldzug gegen die Lords geführt, und hier, an der südwestlichen Seite Andelains, hatte eine Schlacht stattgefunden, die mehrere Tage dauerte. Vielleicht war während jener Auseinandersetzung etwas vom Stein des Wütrichs abgebrochen, unbemerkt hingefallen und in den Hügeln liegengeblieben, hatte einen spontanen Einfluß der Verödung ausgeübt, bis irgendein unglückseliger Holzheimer den Brocken fand.
Doch das alles spielte jetzt keine Rolle. Ein Gefolgsmann hatte die Steinmacht mitgenommen. Nach Schwelgenstein. Schlagartig erkannte
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