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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Krappweis
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hatte wirklich eine Haut wie grobes Schleifpapier. Also lächelte er nur mitleidig, nahm eine Frucht mit bloßen Händen, zerteilte sie und probierte sie ebenfalls. Tom-Tom sagte nichts, lächelte nur sein lückenhaftes Lächeln und aß weiter.
Hansis Aktion war von mir natürlich nur noch zu überbieten, indem ich – natürlich auch ohne Handschuhe – eine Kakteenfrucht pflückte, sie aber nicht einmal teilte, sondern direkt zwischen den feinen Stacheln hineinbiss.
Im ersten Moment fanden wir das alle sehr lustig.
Dann begann es zu jucken. Erst an der feinen Haut zwischen den Fingern, dann an der ganzen Hand … und schließlich auf den Lippen, auf der Zunge und im gesamten Rachenraum. Dazu bildeten sich an den genannten Stellen unzählige kleine Bläschen, die sich mit Eiter füllten und mir für ein paar Tage fast den Spaß an diesem großartigen Urlaub vergällten. Ich konnte kaum sprechen, nur unter Schmerzen essen oder trinken, und es juckte zum Aus-der-Haut-Fahren. Nach drei oder vier Tagen waren die feinen Kakteenstacheln aber endlich ausgeeitert, und ich zog daraus für mein weiteres Leben eine Lehre: Nie wieder habe ich seitdem sardischen Kaktus gegessen.
Schließlich war es Zeit, diesen wunderschönen Ort zu verlassen. Gemeinsam packten wir zusammen und öffneten die vorderen Fenster und die Heckklappe. Als wir losfuhren, beschleunigten wir so schnell wie möglich, damit die unzähligen Fliegen und all das andere flugfähige Ungeziefer vom Fahrwind aus der Heckklappe gedrückt wurden.
Dabei galt es, so schnell zu fahren, dass uns der seiner miefenden Behausung so unvermittelt beraubte Insektenschwarm nicht wieder einholen konnte. Das war mit dem alterschwachen, überladenen Bus nicht ganz einfach. Aber wir schafften es und waren bis auf die vielen verendeten Viecher, die überall herumkullerten, zum ersten Mal seit Wochen weitestgehend ungezieferfrei.

Viel passierte nun nicht mehr auf der Heimfahrt. Bei dem Weg Richtung einer Stadt namens Nuoro wurden wir allerdings eines Nachts von einer Straßensperre gestoppt. Scheinwerfer flammten auf, Polizisten mit schusssicheren Westen und Maschinengewehren tauchten von überall her auf, umstellten unser Auto und forderten uns barsch auf, auszusteigen. Kaum standen wir zusammen mit dem Fisch-, Fliegen- und Benzingestank halb nackt auf der Straße, erkannten sie unser deutsches Nummerschild. Obwohl wir ausgesehen haben mussten wie eine Gruppe Landstreicher und das Innere des Busses wirkte wie eine Mischung aus Schrottplatz, Müllhalde und Fischgeschäft, durften wir sofort wieder einsteigen, mussten aber umdrehen und zurückfahren.
Später erfuhren wir, dass die Stadt Nuoro die sardische Mafiahochburg ist, und waren froh, dass man uns aufgehalten hatte. Am Ende hätten sie mir aber vielleicht sogar dieses berühmte Angebot gemacht, das man nicht ablehnen kann. Denn in ganz Nuoro gab es sicher keinen, der mit Bezin duscht, freiwillig vor einem Muränenfelsen hin- und herschwimmt und nur mal so zum Spaß in einen ungeschälten Kaktus beißt.
    Kennen Sie den Gefahrensucher aus dem Film Kentucky Fried Movie ? Das ist ein bebrillter, eher unscheinbarer Mann mit Helm, der sich zwischen eine Gruppe afroamerikanischer Leute stellt und »Nigger« brüllt. Dann läuft er weg, und kurz bevor sie ihm völlig zu Recht die Nuss polieren, wird abgeblendet.
    Ich sehe meinen Vater so ähnlich, nur ohne Brille, tumbe Verbalprovokation oder Helm. Ja, mein Vater ist ein Gefahrensucher. Er braucht den Nervenkitzel anscheinend, um sich selbst zu bestätigen, dass er existiert. In der nun folgenden Anekdote tritt das besonders deutlich zutage, und es lässt sich auch eine direkte Linie ziehen zu den leicht entflammbaren Tankgängen und pyromanischen Experimenten mit Benzinkocher aus obigem Bericht.

Gas, ah Schmarrn!
    Z uallererst sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Kühltruhe in unserem Campingbus mit Gas betrieben wurde. Das war der Grund, warum wir immer mehr als genug Gasflaschen auf dem Dachgepäckträger mit uns führten. Mein Vater war nicht nur bei Milch, Salz, Zucker oder Dosenfraß besessen von der Angst, dass wir vielleicht nicht genug von alldem dabeihaben könnten. Nein, das traf auch und ganz besonders auf Gas zu. Ohne Gas keine Kühlung und ohne Kühlung kein Transport verderblicher Lebensmittel. Selbst mein Vater wollte sich nicht nur von Dosen, sauer Eingelegtem und Trockenkeks ernähren.
    So hatte ich aber während unserer Fahrten durch die Wüsteneien der

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