Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Campingbus in Sichtweite schon längst schlummere, gönnen sich meine Eltern noch ein bisschen geselliges Beisammensein. Bald erstirbt jegliche Unterhaltung, denn mein Vater hat begonnen, mit lauter Stimme Anekdoten zum Besten zu geben. Glücklicherweise kann mein Vater wirklich gut und pointiert erzählen, und er hat auch die richtige Stimme dafür. Bis heute wird er immer wieder gerne von Vereinen und Firmen als Nikolaus gebucht, vielleicht auch, weil man sich dann die Mikrofonanlage spart. Nun hat mein Vater an diesem Abend aber irgendwann alle bis dahin erlebten Anekdoten erzählt, und meine Mutter kennt sie eh schon recht gut bis auswendig rückwärts. Als er droht, wieder von vorne anzufangen mit der Geschichte, wo er als kleiner Junge die Tomaten an die Wohnzimmerwand geschmettert hat, weil er seinen Bruder verfehlte, drängt also meine Mami meinen Papi, doch nun auch die Bettstatt aufzusuchen.
Widerwillig trennt er sich schließlich von der hysterisch lachenden Meute, die natürlich untröstlich ist, dass ihr ganz persönlicher Alleinunterhalter bereits schlafen gehen muss. Augenblicklich kehrt nun Stille ein in der eben noch so lustigen Hütte, als offenbar wird, welch ausladendes Unterhaltungsvakuum mein Vater nun hinterlässt. Hätte man sich mehr untereinander unterhalten, müsste man nun nicht bei null beginnen. Oder eher bei minus zehn, denn wer will nach dem Auftritt meines Vaters jetzt mit seinen eigenen armseligen Erlebnissen abstinken? Eben.
Meine Mutter hatte auch gar keine Wahl, als meinen Vater mit ins Bett zu nörgeln. Niemand – von kleinen Kindern mal abgesehen – kann schlafen, wenn mein Vater die ganze Bucht mit lustigen Schwänken beschallt. Und nachdem er den Rest der jovialen Bande in peinlichem Schweigen zurücklässt, droht hier auch keine weitere Ruhestörung.
So ist meine Mami schließlich friedlich neben ihrem kleinen Sohn entschlummert und bemerkt nicht, wie es wenig später leise an der Scheibe des Busses klopft …
Als sie irgendwann in der Nacht hochschreckt, ist mein Vater verschwunden. Dafür hört sie ein wohlbekanntes dröhnendes Lachen von draußen. Sie wirft sich etwas über, klettert bedröppelt aus dem Bus und tappt zurück zu dem Restaurant. Dort sitzt ihr Ehemann an dem kleinen Tresen. Vor sich einen Orangina-Raki mit Schirmchen. Um sich die johlenden Mitcamper. Und ansonsten nichts. Im Sinne von »nichts an«. Mein Vater sitzt nackt in dem Restaurant und wiegt gerade mit einer alten Schalenwaage die rechte Brust einer voluminösen Camperin. Strafmildernd sollte ich vielleicht erwähnen, dass die Dame so wie alle anderen außer meinem Papi vollständig bekleidet ist.
Meine Mutter starrt meinen Vater fassungslos an. Mein Vater lacht, als er sie entdeckt, und sagt vermutlich irgendetwas Lustiges, denn alles johlt abermals auf.
Wortlos nimmt meine Mutter ihren nackten Ehemann an der Hand und führt ihn zurück zum Bus. Der winkt lachend, und alle winken lachend zurück. Es fallen Sprüche, in denen das Wort »Pantoffel« eine entscheidende Rolle spielt.
Im anschließenden mit zischenden Stimmen geführten Flüsterdisput stellt sich heraus, dass die Campergesellschaft ohne meinen Vater in der Tat kein eigenständiges Gespräch oder sonst irgendeine Form von Geselligkeit entwickeln konnte. Fernseher war auch keiner da, also schickte man einen von ihnen los, um den bayrischen Hauptspaßmeister zurückzuholen. Der war aber bereits nackig ausgezogen und auf dem Sprung ins Bett. Dies teilte er dem Boten auch flüsternd mit, doch der antwortete angeblich mit dem lahmen Gag: »Dann kommst halt nackig mit.«
Und jetzt kommen wir schließlich zu dem essenziellen Punkt! Denn hier hätte mein Vater ja auch einfach mitleidig lächeln, sich wegdrehen und einschlafen können.
Aber nein.
Hier stand schließlich eine weitere verlockende Überwindung im Raum. In diesem Fall kein Kampf gegen die Elemente oder die schwindende Kraft bei einem Bergzeitfahren. Hier ging es um die Überwindung der Schamgrenze! Auf eine gewisse Art und Weise ist das genauso hart wie das Anschwimmen gegen ein paar Seemeilen Wellengang. Oder härter. Und natürlich nimmt mein Vater die Herausforderung an! NATÜRLICH!
Um das Ganze aber noch ein wenig spannender zu gestalten, schnappt er sich noch einen Pappkarton von dem klischeehaft südländischen Müllhaufen hinter der Korbstuhl-Kaschemme und reißt ein paar strategische Löcher rein.
So tritt er schließlich nachts um eins als eine Art
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