Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
unter dem Namen dieser Firma registriert wurde. Voyl zahlt Steuern und ist geschäftsfähig, er kann Verträge abschließen, Gerichtsverfahren anstrengen und verklagt werden; in vielerlei Hinsicht ist er eine juristische Person, wenn auch eine, die de facto Hecht unterstellt ist.
Diese Idee wird schon länger diskutiert. Die KI-Bastler sind sich alle darüber einig, dass die Digis als Gruppe keinen Rechtsstatus erlangen können, und führen Hunde als Beispiel an: Menschen empfinden tiefes und aufrichtiges Mitgefühl mit ihnen, aber die Tötungen in den Tierheimen summieren sich zu einem alltäglichen Hunde-Holocaust, und wenn die Gerichte schon dagegen nichts unternehmen, werden sie sich wohl erst recht nicht für Wesen einsetzen, in denen nicht einmal ein Herz schlägt. Daher glauben manche Besitzer, man könne höchstens bei Individuen auf einen Schutz durch das Gesetz hoffen: Der Besitzer muss ein bestimmtes Digi als Firma anmelden und kann sich damit auf eine ganze Reihe von Gerichtsurteilen berufen, in denen nichtmenschlichen Wesenheiten Rechte gegeben wurden. Hecht ist der Erste, der das tatsächlich getan hat.
»Es geht euch also ums Prinzip«, sagt er.
»Viele Leute sagen, Firma sein ist toll«, sagt Marco. »Kann tun, was will.«
Ein paar menschliche Jugendliche haben sich darüber beschwert, dass Voyl mehr Rechte hat als sie; offenbar haben die Digis deren Äußerungen gehört. »Nun, ihr seid keine Firmen, und ihr könnt ganz bestimmt nicht tun, was ihr wollt.«
»Uns tut leid«, sagt Marco, dem jetzt aufgeht, dass er in Schwierigkeiten steckt. »Wollen nur Firma sein.«
»Ich habe es euch schon mal gesagt: Ihr seid noch zu jung.«
»Wir älter als Voyl«, sagt Polo.
»Ich besonders«, sagt Marco.
»Auch Voyl ist zu jung dafür. Sein Besitzer hat einen Fehler gemacht.«
»Dann wir dürfen nie Firma sein?«
Derek sieht sie streng an. »Vielleicht irgendwann, wenn ihr älter seid; mal sehen. Aber wenn ihr beide euch noch einmal so etwas erlaubt, wird das ein ernstes Nachspiel haben. Verstanden?«
Die Digis wirken verdrossen. »Ja«, sagt Marco.
»Ja«, sagt Polo.
»Gut. Ich muss jetzt gehen; wir reden später weiter darüber.« Derek schaut sie finster an. »Kehrt jetzt nach Erde 2 zurück, alle beide.«
Während Derek zum Restaurant fährt, lässt er sich Marcos Bitte noch einmal durch den Kopf gehen. Viele Leute stehen der Vorstellung von einem Digi als Firma skeptisch gegenüber; sie sehen in Hechts Aktionen nur einen Gag, und Hecht verstärkt diesen Eindruck noch, indem er Presseerklärungen über seine Pläne mit Voyl herausgibt. Im Moment ist Hecht im Grunde der Geschäftsführer der Voyl-Gesellschaft, aber er unterrichtet Voyl in Wirtschaftsrecht und beharrt darauf, dass Voyl eines Tages alle Entscheidungen allein treffen wird; die Rolle des Geschäftsführers, ob nun Hecht oder jemand anders sie innehat, wird dann nur noch formell existieren. Bis dahin fordert Hecht alle heraus, Voyls Status als juristische Person anzufechten. Hecht hat die Mittel für einen Rechtsstreit, und er brennt auf eine gerichtliche Auseinandersetzung. Bisher hat sich niemand darauf eingelassen, doch Derek hofft, dass es dazu kommen wird; bevor er in Erwägung zieht, Firmen für Marco und Polo zu gründen, sollten die ersten Präzedenzfälle gewonnen worden sein.
Ob Marco oder Polo intellektuell jemals fähig sein könnten, Gesellschaften zu werden, ist eine andere Frage und in Dereks Augen viel schwerer zu beantworten. Die Neuroblast-Digis haben bewiesen, dass sie eigenständig Hausaufgaben erledigen können, und er ist zuversichtlich, dass ihre Aufmerksamkeitsspanne mit der Zeit beständig zunehmen wird, doch selbst wenn sie irgendwann in der Lage sein sollten, größere Projekte ohne Betreuung durchzuführen, bedeutet das noch lange nicht, dass sie verantwortungsvolle Entscheidungen über die eigene Zukunft treffen können. Und er ist sich nicht einmal sicher, ob er Marco und Polo ermutigen sollte, so viel Unabhängigkeit anzustreben. Marco und Polo zu Firmen zu machen, bedeutet, dass sie auch nach Dereks Tod weiterlaufen können – eine beunruhigende Vorstellung: Für Menschen mit Downsyndrom gibt es Einrichtungen, die den Leuten helfen, ein eigenständiges Leben zu führen; aber für als Firma eingetragene Digis existiert keine vergleichbare Betreuung. Vielleicht sollte Derek lieber dafür sorgen, dass Marco und Polo stillgelegt werden, wenn er sich nicht mehr um sie kümmern kann.
Welche Entscheidung
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