Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

mitten in der Bewegung erstarrt das Digi, schrumpft zu einem Icon und heftet sich an ein Gürtelglied des Spielers, als würde er von einem Gummiband dort hingezogen.
    »Drayta komisch«, sagt Jax.
    »Ja, nicht wahr?«
    »Alle Draytas so?«
    »Ich glaube schon.«
    Der Seraph kommt zu Ana herüber. »Was ist das denn für ein Digi? So eins habe ich noch nie gesehen.«
    »Er heißt Jax. Er läuft auf dem Neuroblast-Genom.«
    »Die kenne ich nicht. Sind die neu?«
    Eines der Teammitglieder des Seraphs, das ein Nephilim-Avatar trägt, kommt vorbei. »Nee, der ist alt, das ist die letzte Generation.«
    Der Seraph nickt. »Ist er gut im Rätsellösen?«
    »Nicht besonders«, sagt Ana.
    »Was kann er denn?«
    »Ich gern singe«, wirft Jax ein.
    »Wirklich? Dann sing uns mal was.«
    Mehr Ermunterung braucht Jax nicht; er stimmt eines seiner Lieblingslieder an – »Mackie Messer« aus der Dreigroschenoper. Den Text kennt er auswendig, aber die Melodie ist allenfalls eine grobe Annäherung an das Original. Dazu führt er einen selbst erfundenen Tanz auf, der hauptsächlich aus ein paar Stellungen und Handbewegungen besteht, die er sich aus einem indonesischen Hiphop-Video abgeschaut hat.
    Die anderen Spieler lachen die ganze Zeit über. Zum Schluss verbeugt sich Jax, und sie applaudieren. »Das war großartig«, sagt der Seraph.
    Ana sagt zu Jax: »Das heißt, es hat ihm gefallen. Sag dankeschön.«
    »Dankeschön.«
    Zu Ana sagte der Seraph: »In den Labyrinthen ist der bestimmt keine große Hilfe, was?«
    »Er hält uns bei Laune«, sagt sie.
    »Ja, das glaube ich gern. Wenn er mal Rätsel lösen kann, sag mir Bescheid, dann kaufe ich mir einen.« Er bemerkt, dass sich inzwischen sein ganzes Team versammelt hat.
    »Okay, wir machen uns dann mal an unsere nächste Mission. Viel Glück bei eurer.«
    »Viel Glück«, sagt Jax und winkt zum Abschied, während der Seraph und seine Teammitglieder abheben und in geordneter Formation auf ein entferntes Tal zuschweben.
    Ein paar Tage später muss Ana, als sie eine Diskussion in den Foren der Usergruppe liest, wieder an diese Begegnung denken:
    VON: Stuart Gust
    Gestern Abend habe ich SoH mit ein paar Leuten gespielt, die einen Drayta auf ihre Missionen mitnehmen. Er war zwar nicht besonders unterhaltsam, aber eindeutig nützlich.
    Ich frage mich jetzt, ob man nicht beides haben könnte. Diese Sophonce-Digis sind unseren in nichts überlegen. Könnten unsere Digis nicht vielleicht lustig und nützlich zugleich sein?
    VON: Maria Zheng
    Möchtest du etwa Kopien von deinem verkaufen? Glaubst du, du könntest einen besseren Andro aufziehen?
    Maria bezieht sich auf ein Sophonce-Digi namens Andro, das von seinem Besitzer, Bryce Talbot, zu seinem persönlichen Assistenten ausgebildet wurde. Talbot hat Andro bei VirlFriday, einem Hersteller von Terminverwaltungssoftware, vorgestellt, und die Geschäftsführer zeigten sich interessiert. Der Deal ist geplatzt, nachdem jeder von ihnen eine Demo erhalten hatte; Talbot war sich nicht darüber im Klaren, dass Andro in mancher Hinsicht ebenso zwanghaft ist wie Drayta. Wie ein Hund, der seinem ersten Besitzer für immer treu ergeben ist, wollte Andro für niemanden arbeiten, solange Talbot nicht dabei war und die Befehle erteilte. VirlFriday hat es mit einem eingebauten sensorischen Filter versucht, durch den jede neue Andro-Instanz den Avatar und die Stimme ihres neuen Besitzers als die von Talbot wahrnahm, aber die Täuschung hat nie länger als ein paar Stunden funktioniert. Binnen kurzer Zeit haben alle Geschäftsführer ihre verzweifelten Andros anhalten müssen, die ständig nach dem echten Talbot suchten.
    Deswegen hat Talbot für die Rechte an Andro nicht annähernd die Summe bekommen, die er sich erträumt hatte. Stattdessen hat VirlFriday die Rechte an Andros Genom und das vollständige Archiv seiner Sicherungspunkte gekauft und Talbot als Mitarbeiter eingestellt. Er arbeitet in einem Team, das frühere Sicherungen von Andro wiederherstellt und diese neu trainiert, um eine Version zu erschaffen, die Andros Fähigkeiten hat, gleichzeitig aber auch einen neuen Besitzer akzeptiert.
    VON: Stuart Gust
    Nein, ich will keine Kopien verkaufen. Ich überlege nur, ob Zaff vielleicht so was machen könnte wie die Blinden- oder Drogenhunde. Mir geht es nicht ums Geldverdienen, aber wenn die Digis irgendetwas tun könnten, wofür die Leute zu zahlen bereit wären, würde das den ganzen Skeptikern da draußen beweisen, dass die Digis nicht nur zur