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Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ted Chiang
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Körper heil. Ich bisschen mehr probiert, und Körper immer noch heil.«
    »Also hast du noch ein bisschen mehr probiert, und jetzt müssen wir dir ein neues Handgelenk kaufen und außerdem ein neues Bildschirmpaneel.« Ganz kurz überlegt sie, wie schnell sie das Paneel wohl ersetzen und ob sie verhindern kann, dass Kyle – der gerade auf Geschäftsreise ist – den Schaden bemerkt. Vor ein paar Monaten hat Jax eine Skulptur beschädigt, an der Kyle besonders viel lag, und vielleicht wäre es besser, wenn er nicht an jenen Vorfall erinnert würde.
    »Mir sehr, sehr leid«, sagt Jax.
    »Okay, ab nach Erde 2 .« Ana deutet auf die Ladeplattform.
    »War wirklich Fehler ...«
    »Geh jetzt.«
    Gehorsam geht Jax hinüber. Kurz bevor er auf die Plattform tritt, sagt er ganz ruhig: »Ist nicht Erde 2 .« Dann wird der Roboterhelm dunkel.
    Worüber sich Jax da beklagt, ist eine private Version von Erde 2 , welche die Neuroblast-Usergruppe installiert hat, wobei sie viele Kontinente des Originals kopiert haben. In mancher Hinsicht ist diese Welt viel besser als die Privatinsel, die sie damals als Zuflucht vor dem AIF-Hack benutzt haben, denn Rechenleistung ist inzwischen so billig, dass sie Kontinente zu Dutzenden laufen lassen können. Auf der anderen Seite ist die private Version sehr viel schlechter, denn ihre Kontinente sind nahezu unbewohnt.
    Das Problem ist nicht nur, dass alle Menschen zu Weltenraum gewechselt sind. Auch die Origami- und Fabergé-Digis sind dorthin migriert, und Ana kann es ihren Besitzern kaum verdenken; wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, hätte sie genauso gehandelt. Noch schwerer ist es zu verschmerzen, dass auch die meisten Neuroblast-Digis verschwunden sind, einschließlich vieler von Jax’ Freunden. Manche Mitglieder der Usergruppe haben nach der Schließung von Erde 2 aufgegeben; andere wollten erst einmal abwarten, haben dann aber die Zuversicht verloren, als sie gesehen haben, wie eintönig die private Version von Erde 2 ist, und ihre Digis lieber stillgelegt, als sie in einer Geisterstadt leben zu lassen. Und tatsächlich ist es genau das, woran Erde 2.1 erinnert: an eine Geisterstadt, die so groß ist wie ein Planet. Es gibt riesige Areale, jedes Detail darin genau ausgearbeitet, in denen man umherwandern, wo man aber mit niemandem reden kann, außer mit den Lehrern, die zum Unterrichten herkommen. Es gibt Dungeons ohne Quests, Einkaufszentren ohne Geschäfte, Sportstadien ohne Wettkämpfe; es ist die digitale Entsprechung einer postapokalyptischen Landschaft.
    Früher haben sich Jax’ menschliche Freunde aus der Tetrabrake-Szene manchmal auf Erde 2.1 eingeloggt, nur um sich mit Jax zu treffen, aber in letzter Zeit sind ihre Besuche immer seltener geworden; alle Tetrabrake-Events finden jetzt auf Weltenraum statt. Zwar kann Jax aufgezeichnete Choreografien senden und empfangen, aber die Szene besteht größtenteils aus Zusammenkünften, bei denen die Tänze live improvisiert werden; für ihn gibt es keine Möglichkeit, daran teilzunehmen. Jax verliert einen Großteil seines Lebens in der virtuellen Welt, und in der Außenwelt gibt es keines für ihn: Sein Roboterkörper wird als unbemanntes, frei navigierendes Fahrzeug eingestuft, weshalb er zu öffentlichem Gelände keinen Zutritt hat, solange Ana oder Kyle ihn nicht begleiten. An ihre Wohnung gefesselt, quälen ihn Ruhelosigkeit und Langeweile.
    Wochenlang hat Ana ihn animiert, sich in seinem Roboterkörper an den Computer zu setzen und sich von dort aus in Weltenraum einzuloggen, aber inzwischen weigert er sich. Wegen seiner mangelnden Erfahrung mit realen Computern hatte er Schwierigkeiten bei der Bedienung, die noch vergrößert wurden, weil die Kamera die Gesten des Roboterkörpers nur unzureichend interpretiert; nach Anas Ansicht wären sie allerdings zu meistern gewesen. Das größere Problem ist aber, dass Jax einen Avatar nicht bedienen, sondern der Avatar sein will. Tastatur und Bildschirm sind für ihn nur ein armseliger Ersatz dafür, wirklich dort zu sein, ebenso unbefriedigend wie ein Dschungel-Computerspiel für einen Schimpansen aus dem Kongo.
    Die verbliebenen Neuroblast-Digis leiden alle unter ähnlichen Frustrationen, und somit wird klar, dass Erde 2.1 nur eine vorübergehende Lösung ist. Sie müssen es irgendwie hinbekommen, dass die Digis auf Weltenraum laufen können, damit sie sich freier bewegen und mit den dortigen Gegenständen und Bewohnern interagieren können. Mit anderen Worten, die Lösung ist ein

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