Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
Port der Neuroblast-Engine – man muss den Programmcode so neu schreiben, dass er auf der Weltenraum -Plattform läuft. Ana hat die früheren Inhaber von Blue Gamma überredet, den Sourcecode für Neuroblast freizugeben, aber für die Neuprogrammierung werden erfahrene Entwickler gebraucht. Die Usergruppe hat Aufrufe in Open-Source-Foren gestartet, um Freiwillige anzulocken.
Der einzige Vorteil der antiquierten Erde 2.1 ist, dass ihre Digis vor der dunklen Seite des gesellschaftlichen Miteinanders sicher sind. Auf der Weltenraum -Plattform vertreibt eine Firma namens Edgeplayer eine Folterkammer für Digis; um keine Anzeige wegen der verbotenen Herstellung von Kopien zu riskieren, werden nur Public-Domain-Digis als Opfer verwendet. Die Usergruppe ist übereingekommen, dass die Konvertierungssoftware, die nach dem Port der Neuroblast-Engine verwendet werden soll, eine Authentifizierung des Besitzers beinhalten wird; kein Neuroblast-Digi wird Weltenraum jemals ohne einen Menschen betreten, der die Verantwortung dafür übernimmt.
Es ist zwei Monate später. Derek surft gerade durch das Forum der Usergruppe und liest die Antworten auf ein Posting, das er neulich über den letzten Stand des Neuroblast-Ports geschrieben hat. Leider hatte er nichts Erfreuliches zu berichten; die Versuche, für das Projekt Entwickler zu gewinnen, waren wenig erfolgreich. Die Usergruppe hat öffentliche Veranstaltungen auf Erde 2.1 organisiert, bei denen sich jeder die Digis anschauen konnte, aber es sind kaum Besucher gekommen.
Das Problem ist: Genom-Engines sind Schnee von gestern. Die Entwickler zieht es zu neuen, aufregenden Projekten, und derzeit sind das neuronale Schnittstellen oder nanomedizinische Software. Die Open-Source-Repositories enthalten seitenweise Genom-Engines, die in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung dahindümpeln und für die freiwillige Entwickler gesucht werden, und die Aussicht, die zwölf Jahre alte Neuroblast-Engine auf eine neue Plattform zu portieren, ist vielleicht das reizloseste Projekt von allen. Nur ein paar Studenten machen bei dem Neuroblast-Port mit, und bei der wenigen Zeit, die sie erübrigen können, wird die Weltenraum -Plattform noch vor der Fertigstellung des Ports selbst veraltet sein.
Die andere Möglichkeit wäre die Einstellung von professionellen Entwicklern. Derek hat mit ein paar Programmierern gesprochen, die Erfahrung mit Genom-Engines mitbringen, und sie schätzen lassen, wie viel die Portierung von Neuroblast kosten würde. Die Kostenvoranschläge für den Port sind der Komplexität des Projekts angemessen, und für eine Firma mit mehreren Hunderttausend Kunden wäre die Durchführung durchaus sinnvoll. Für eine auf ungefähr zwanzig Menschen zusammengeschmolzene Gruppe von Usern ist der Preis jedoch schwindelerregend.
Derek liest die letzten Beiträge im Diskussionsforum und ruft dann Ana an. Die Digis auf Erde 2.1 einzusperren, war gewiss hart, brachte für ihn jedoch auch einen Lichtblick mit sich: Ana und er haben seither täglich etwas miteinander zu besprechen, sei es der Stand des Neuroblast-Ports oder Beschäftigungsmöglichkeiten für ihre Digis. Weil jedes Digi seinen eigenen Interessen nachging, waren Marco und Polo während der letzten Jahre immer seltener mit Jax zusammen, aber jetzt bleibt den Neuroblast-Digis als Gesellschaft nur noch ihresgleichen, also bemühen Ana und er sich um gemeinsame Unternehmungen. Derek hat keine Ehefrau mehr, die sich daran stören könnte, und Anas Freund Kyle scheint es nichts auszumachen, also kann er sie ohne schlechtes Gewissen anrufen. Es ist schmerzlich und schön zugleich, so viel Zeit mit ihr zu verbringen; vielleicht wäre es besser für ihn, wenn sie weniger miteinander zu tun hätten, aber er kann es nicht lassen.
Anas Gesicht erscheint im Kommunikationsfenster. »Hast du Stuarts Posting gesehen?«, fragt Derek. Stuart hat vorgerechnet, welchen Betrag jeder von ihnen bei gerechter Kostenteilung bezahlen muss, und die Frage gestellt, wie viele Mitglieder diesen Betrag aufbringen können.
»Ich hab’s gerade gelesen«, sagt Ana. »Er will wohl helfen, aber er deprimiert die Leute nur.«
»Das glaube ich auch«, sagt er. »Aber bis uns eine Lösung einfällt, werden alle nur über das Geld nachdenken. Hast du schon mit dieser Spendensammlerin geredet?« Ana hat mit der Freundin einer Freundin sprechen wollen, einer Frau, die Benefizveranstaltungen für Wildtierreservate auf die Beine gestellt hat.
»Ich habe gerade
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