Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
der Firma kursiert unter der Hand der Spruch: ›Alles, was an Affen so toll ist, nur ohne das Scheißewerfen.‹«
Ana lächelt. »So langsam verstehe ich, wieso es nützlich sein könnte, Erfahrung mit Tieren zu haben.«
»Ja. Wir schaffen es nicht immer, dass die Kerlchen tun, was sie sollen, und wir wissen nicht, wie weit das genetisch bedingt ist, oder ob es einfach daran liegt, dass wir es nicht richtig angehen.«
Ana beobachtet, wie das pandaartige Digi mit einer Pfote das Spielzeugauto hochhebt und es von unten untersucht; mit der anderen Pfote dreht es vorsichtig die Räder. »Wie viel können diese Digis am Anfang?«
»Praktisch nichts. Schau her, ich zeige es dir.« Robyn aktiviert einen Bildschirm an der einen Wand der Kindertagesstätte; es erscheint die Videoaufnahme eines in fröhlichen Farben gestrichenen Raums, wo ein paar Digis auf dem Boden liegen. Äußerlich unterscheiden sie sich nicht von den Digis hier in der Kindertagesstätte, aber ihre Bewegungen wirken ziellos und abgehackt. »Die hier sind gerade erst instanziiert worden. Sie brauchen einige subjektive Monate, um die Grundlagen zu lernen: wie man visuelle Eindrücke interpretiert, seine Gliedmaßen bewegt, wie sich die Gegenstände im Raum verhalten. In diesem Stadium lassen wir sie in einem Treibhaus laufen, dann dauert das alles etwa eine Woche. Sobald sie so weit sind, dass sie sprechen und soziale Interaktion erlernen können, schalten wir auf Echtzeit um. Und da kämst du ins Spiel.«
Der Panda schiebt das Spielzeugauto ein paarmal auf dem Boden hin und her und stößt dann ein Geräusch aus, das einem Eselsschrei ähnelt, mo mo mo . Ana begreift, dass das Digi lacht.
Robyn fährt fort: »Ich weiß, dass du Kommunikation bei Primaten studiert hast. Hier hättest du die Chance, das anzuwenden. Was hältst du davon? Bist du interessiert?«
Ana zögert: Das ist nicht das, was sie sich erträumt hatte, als sie aufs College gegangen ist, und ganz kurz fragt sie sich, wie es nur so weit kommen konnte. Als kleines Mädchen hat sie davon geträumt, Fossey und Goodall nach Afrika zu folgen; aber als sie mit der Uni fertig war, gab es nur noch so wenig Affen, dass ein Job im Zoo das Beste war, was sie ergattern konnte; und jetzt bewirbt sie sich als Trainerin für virtuelle Haustiere. In verkleinertem Maßstab spiegelt ihr Lebenslauf das Dahinschwinden der Natur wider.
Schluss damit, sagt sie sich. Es ist vielleicht nicht das, was sie sich vorgestellt hat, aber es ist ein Job in der Softwareentwicklung, und dafür ist sie schließlich zurück auf die Uni gegangen. Und vielleicht macht es ja sogar mehr Spaß, virtuelle Affen zu trainieren, als Testreihen durchzuführen. Wieso also nicht, wenn Blue Gamma anständig zahlt?
Er heißt Derek Brooks, und mit seiner derzeitigen Aufgabe ist er gar nicht glücklich. Derek entwirft für die Digis von Blue Gamma die Avatare, und normalerweise macht ihm seine Arbeit Spaß, aber gestern haben die Produktmanager ihn um etwas gebeten, was in seinen Augen keine gute Idee ist. Er hat versucht, ihnen das klarzumachen, aber die Entscheidung liegt nicht bei ihm, deshalb muss er jetzt zusehen, wie er die Sache halbwegs anständig hinbekommt.
Derek hat eine Ausbildung als Trickfilm-Animator, eigentlich ist die Erschaffung digitaler Wesen also genau sein Ding. In anderer Hinsicht unterscheidet sich seine Arbeit allerdings sehr von der eines traditionellen Animators. Normalerweise entwirft er die Bewegungen und Gesten einer Figur, aber bei den Digis ergeben sich diese Eigenschaften aus dem Genom; seine Aufgabe ist es, einen Körper zu entwickeln, der die Gesten des Digis so ausführt, dass die Leute damit etwas anfangen können. Wegen dieses Unterschieds wollen viele Animatoren – einschließlich seiner Frau Wendy – nichts mit digitalen Lebensformen zu tun haben, aber Derek macht die Arbeit Spaß. Seiner Meinung nach ist es die denkbar spannendste Aufgabe für einen Animator: einer neuen Lebensform dabei zu helfen, sich selbst ausdrücken zu können.
Er hat sich Blue Gammas Philosophie des KI-Designs verschrieben: Erfahrung ist die beste Lehrerin; anstatt also eine KI zu programmieren, die das weiß, was du ihr beigebracht hast, verkaufst du lieber eine, die lernfähig ist, und lässt die Käufer sie unterrichten. Damit die Kunden auch wirklich bei der Stange bleiben, müssen die Digis durch und durch ansprechend sein: ihr Charakter einnehmend, daran arbeiten die Entwickler gerade, und ihre Avatare
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