Das War Ich Nicht
Drehtür, sprang über den Bürgersteig, rannte über die Straße, wie immer, nein, etwas war anders. Seine schon immer gehetzten Bewegungen hatten etwas Panisches bekommen, als liefe er nicht eilig zum Caribou hin, sondern aus der Bank weg. Mitten auf der Straße sah er sich plötzlich um und rannte fast gegen ein Taxi, das in Richtung Monroe-Brücke im Verkehr feststeckte. Er betrat das Cafe, sah mich und blieb stehen, sein Oberkörper schwankte noch ein wenig weiter nach vom, dann zurück. Ich hob die Hand, in der ich die Mappe mit meinen Kontounterlagen hielt, und winkte ihm zu.
»Sie habe ich ja gestern ganz vergessen«, sagte er.
»In der Tat«, sagte ich, versuchte, die richtige Mischung aus Vorwurf und Verständnis in den Klang meiner Stimme zu legen, und hielt mich an der Mappe fest, auf deren glanzbeschichtetem Papier sich kleine Höfe von Feuchtigkeit um meine Daumen gebildet hatten.
»Ich möchte, dass Sie sich ab jetzt um meine Finanzen kümmern. Gerne auch mit Hebelwirkung. Rein professionell«
»Ich bin eigentlich kein Anlageberater. In Ihrer Filiale ... « »Die kennen sich doch alle nicht aus. Sie sind der Profi.« Bei dem Wort Profi hob er den Kopf, sah mir zum ersten Mal während des Gesprächs in die Augen, und ich sah nichts mehr außer Blau. Sein rechtes Augenlid zitterte, ab und zu berührte er es vorsichtig mit den Fingerspitzen der rechten Hand, als wollte er feststellen, wie sichtbar das Zucken war.
»Was wollen Sie denn jetzt eigentlich von mir?« »Ich will Sie. Als Anlageberater.«
»In Ordnung«, sagte er. »Wenn Sie unbedingt wollen.« »Wann treffen wir uns denn mal in aller Ruhe?« »Nutzen Sie Online-Banking?«
»Ich nutze Kreditkarten«, sagte ich stolz, obwohl es eher dämlich war. Ich schlug die Mappe auf, er beugte sich nach vorne und sah hinein. Gemeinsam blätterten wir durch die wenigen Sparauszüge, Vermögensaufstellungen, Kreditkartenabrechnungen, Kreditkarteninfonnationen, die ich dort abgeheftet hatte, blätterten wie in einem Möbelhauskatalog auf der Suche nach einer Schlafzimmereinrichtung. Mir wurde wieder einmal bewusst, wie reich ich geworden war mit meinen Romanen. Ich war Millionär. Ich dachte nicht oft an dieses Wort, aber manchmal kam es mir in den Sinn. Millionär. Unglaublich. Da griff Jasper nach einem Zettel, auf dem nichts stand außer Zahlen, und zog ihn heraus.
»Sie sind ja zum Online-Banking freigeschaltet. Ich könnte mich um alles kümmern. Wenn Sie mir das mitgeben. Ganz unbürokratisch. «
»Muss ich jetzt irgendwelche Formulare ausfüllen?«, fragte ich.
Er kaute einen kurzen Moment am Nagel seines kleinen Fingers, dann bemerkte er, was er tat, und hörte auf.
»Das gehört zu unserem Service. Ich habe das im Griff. Bräuchte nur noch Ihr Passwort für das Online-Banking.«
Ich erinnerte mich dunkel. Vor einiger Zeit hatte ich mir ein Passwort ausdenken sollen, um mein Konto im Internet verwalten zu können. Ich erinnerte mich deswegen daran, weil ich Tage dafür gebraucht hatte: kein Haustier, kein Partner, dessen Namen oder Geburtstag ich nehmen konnte, und der Vorname meiner Mutter war Jane, und das war zu kurz.
»Henry.«
»Das ist das Passwort?«
»Ja. Henry48«, das war mein Geburtsjahr. Es war mir ein bisschen unangenehm, ihm das zu sagen.
»Welche Risikogewichtung möchten Sie in der Depotstruktur?«
Ich sah ihn an, lächelte, nickte.
»Das kommt auf den Anlagehorizont an«, fuhr er fort. »Junge Leute wollen eher auf Rendite gehen, was natürlich ein höheres Risiko beinhaltet, Ältere eher auf Sicherheit.«
»Tja, also ... «
»Wie alt sind Sie denn?« »Alt.«
Er sah auf das Passwort, das er sich aufgeschrieben hatte und sagte: »Sechzig?« »Ja.«
»Aber sechzig ist doch noch nicht alt«, sagte er. »Risiko!«, sagte ich.
»Ich muss jetzt zurück zur Arbeit. Ich kümmere mich drum.« »Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht arbeiten?« »Schlafen, hauptsächlich«, sagte er, sehr freundlich, aber es war klar, dass es das gewesen war. Er stand auf.
»Kann ich die Mappe mitnehmen?«, fragte er. »Selbstverständlich«, sagte ich. »Wie geht es denn jetzt weiter?«
»Wir sprechen uns, würde ich sagen«, sagte Jasper und verließ das Cafe.
Auch ich machte mich auf den Weg, ging auf die Monroe-Brücke, blieb in der Mitte stehen und sah in den Fluss. Ich Idiot. Warum hatte ich mir meine Kontodaten einfach so wegnehmen lassen? Warum hatte ich nicht darauf bestanden, ihn zu einem Abendessen einzuladen und erst
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