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Das War Ich Nicht

Das War Ich Nicht

Titel: Das War Ich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristof Magnusson
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setzte mich und hatte das Gefühl, dass eine ganz lange Zeit überhaupt nichts passierte.
    »Wir haben uns über deinen Bonus Gedanken gemacht«, sagte er. Für seine Verhältnisse klang es fast feierlich. Dann schob er einen Umschlag über die Tischplatte. Meistens lag sein Schreibtisch voll mit Papieren, internen Meldungen, Geschäftsberichten. Diesmal nicht. Während ich den Umschlag öffnete, fragte ich mich, ob er den Schreibtisch extra freigeräumt hatte, damit er uns die Umschläge mit den Schecks zuschieben konnte, statt sie uns zu geben, um dem Ganzen einen würdevolleren Charakter zu ... 40.000 Dollar. Stand auf dem Scheck.
    Ich konnte es kaum glauben. Gut, ich hatte im letzten Jahr beim Abwickeln der Kundenaufträge immer wieder kleine Gewinne gemacht. Sonst hätten die mich ja nicht auf die Schulung nach London geschickt. Aber war ich wirklich so viel besser geworden, dass mein Bonus jetzt viermal so hoch war wie im letzten Jahr? Das konnte eigentlich nicht sein. Musste aber so sein - eine andere Erklärung gab es nicht. Alex konnte unmöglich die fiktiven Gewinne gesehen haben, die ich mir auf dem Account von Chris Neely verbucht hatte, der nun Graham Santos gehörte. Denn dann hätte er auch meine Verluste gesehen, und ich würde nicht mehr hier sitzen. Dieser Bonus war der Beweis dafür, dass Alex meine unautorisierten Geschäfte nicht entdeckt hatte.
    Auf Alex' Schreibtisch lag ein Reiseführer: Mit dem Motorrad durch Mexiko. Daneben eine Rolle durchsichtige Schutzfolie, Schere und Klebestreifen. Ich stellte mir vor, wie Alex zwischen den Bonus-Gesprächen seine Reise vorbereitete. Durch die Schere und den Klebestreifen hatte es etwas Kindliches. Ich stieß einen Laut aus, fast eine Art Schrei, den ich gerade noch unterdrücken konnte, indem ich einen Hustenanfall vortäuschte. Schloss die Augen, beugte mich nach vorn, presste die Hand auf den Mund und hustete, um nicht lachen zu müssen. Irgendwann richtete ich mich wieder auf. Atmete ein. Sah Alex an. Da riskierte ich Millionen, und er klebte Schutzfolie um seinen Reiseführer.
    »Alles okay?«, sagte Alex.
    »Klar«, sagte ich. »Hab nur Husten.« Ich wischte mir über die Augen, dann stand ich auf und spürte das Brennen in meinem Magen so stark wie noch nie. Ich musste etwas essen. Sofort. Etwas Gesundes. Einen Salat vielleicht. Sah den Bonus-Scheck noch mal an. Steckte ihn in die Hosentasche. Merkwürdig, wie der Anblick dieser Zahl mich beruhigte, so lächerlich sie auch war im Vergleich zu meinen Verlusten: Meine Verluste standen nur in den Büchern, diesen Scheck konnte ich anfassen. Das war wohl der Grund, warum viele Kollegen ihren Bonus nicht wie das Gehalt als Direkt-Einzahlung auf ihr Konto wollten. Sie wollten einen Scheck. Einmal etwas in der Hand halten.
    "Schönen Urlaub, dann«, sagte ich, und bevor Alex antworten konnte, hatte ich bereits sein Büro verlassen. Ging auf direktem Weg ins Caribou.
    HENRY
    Ich stand auf und drehte die Klimaanlage, die ich für die Nacht auf 64 Grad Fahrenheit heruntergestellt hatte, auf 72 Grad hoch. Die einzigen Geräusche waren das gelegentliche Geheul einer Autoalarmanlage oder sonst einer Sirene irgendwo da draußen, weit unten. Über den Häusern trieben die Wolken in Richtung See, wie zerfetzte Segel; es musste windig sein, auch wenn ich hier drinnen nicht einmal ein leises Pfeifen hörte. Ich zog mich langsam an.
    Jasper Lüdemann hatte mich versetzt. Ich hatte keine Chance bei ihm, das war deutlich, doch abfinden konnte ich mich deswegen noch lange nicht damit. Viel zu viel hatte ich auf mich genommen, sogar meine Wohnung betreten, um die Bankunterlagen zu holen - nur seinetwegen. Ich musste ihn noch einmal treffen. Was blieb mir auch anderes übrig? Auf den Verlag warten? Mit meiner Übersetzerin Kaffee trinken?
    Wenn ich mir seine Telefonnummer nicht auf die Stirn geschmiert hätte, hätte ich ihn angerufen. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich wieder ins Caribou zu setzen, natürlich mit einem schlechten Gewissen, weil ich mir sicher war, dass ich heute Abend nicht zu der Verabredung mit meiner Übersetzerin gehen würde und wohl deswegen vier Dollar in das Trinkgeldglas schmiss, auf dem Thanks a latte stand.
    Ich betrachtete das Hochhaus von Rutherford & Gold. Dort lag also mein Geld, dieses zahlenmäßig fassbare Korrelat dessen, was Jasper mein »gelungenes Leben« genannt hatte. Diesmal saß ich nicht oben, versteckt auf der Galerie, sondern unten. Bald darauf kam er aus der

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