Das Washington-Dekret: Thriller (German Edition)
für eine Stunde am Tag zum Hofgang brachten, war das für sie, als würden sie fremder Leute Hunde ausführen. Und ergeben wie Hunde sollten sich die Häftlinge am besten auch verhalten. Insbesondere vor dem großen Rothaarigen, genannt Lassie, warnte ihn sein Zellennachbar: »Sonst kürzt der die Rationen.«
Anders war nur der Neuzugang unter den Vollzugsbeamten, ein Bursche namens Pete.
Nachts weinte Reamur Duke, Buds Zellennachbar zur anderen Seite, leise vor sich hin. Er sagte niemandem, warum. Dann wieder deklamierte er unablässig Wörter und Zahlen, immer dasselbe. Zwischendurch greinte er eine Weile nach Zigaretten und danach ging es wieder mit den Zahlenkombinationen los. Er war sicherlich noch verrückter als Daryl, aber offenbar nicht verrückt genug, um für schuldunfähig erklärt zu werden und damit der Todesstrafe zu entgehen.
Wahrscheinlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sie alle so wurden. Daryl Reid kannte jede Menge Geschichten von durchgeknallten Todeskandidaten. Besonders laut lachte er, wenn er die Geschichte von dem Mann zum Besten gab, der vor seiner Hinrichtung nur um ein Glas Wasser bat und mit dem Eisbecher lieber bis hinterher warten wollte.
Bud lachte nicht. Sechs Tage saß er erst im Todestrakt, under hatte das Gefühl, bald durchzudrehen. Irgendetwas musste geschehen.
Pete Bukowski, der dienstjüngste Vollzugsbeamte, zeigte als Einziger so etwas wie Mitmenschlichkeit. Er hatte freundliche Augen, und wenn er ihnen zunickte und manchmal sogar wehmütig lächelte, konnte man meinen, er habe etwas Mitgefühl oder könne sich vielleicht ein klein wenig in ihre Lage versetzen.
Für Bud war der junge Mann die einzige Verbindung zur Außenwelt. Er versuchte mehrfach, sich mit Pete zu unterhalten, wenn er bei ihnen im Todestrakt Dienst hatte. Nach mehreren Anläufen gelang es Bud schließlich, Pete zu entlocken, dass er siebenundzwanzig Jahre alt war, Baptist, verheiratet und bald auch Vater.
Als er Bud am zehnten Tag vom Hofgang zurückbrachte, erzählte Bud ihm, er brauche unbedingt ein Handy. Wenn er das bekäme, könne er ihm viel Geld überweisen lassen. Pete sagte nichts, er nickte lediglich und ging weg.
Danach passierte nichts. Aber immerhin hatte der Mann also den Mund gehalten, das war doch schon etwas.
Dann ergab sich tagelang kein Kontakt mit Pete. Vielleicht ging der junge Gefängniswärter ihm ja aus dem Weg, vielleicht wollte er erst mal gründlich nachdenken.
Damit wäre er ja wahrlich nicht der Einzige.
8
Inzwischen war es einundzwanzig Uhr und der Himmel über dem Westflügel rabenschwarz. Mehrere Stunden waren verstrichen, seit der Vizepräsident und der Präsident sich zusammengesetzt hatten – für Wesley reichlich Zeit zum Nachdenken. Was hatte er nicht alles dafür getan, so weit zu kommen, und jetzt war die schönste Zeit bereits vorbei.
Dieser sechste März war ein sorgenvoller Tag gewesen. Wesley und die anderen hörten Vizepräsident Lerners aufgeregte, helle Stimme, lange bevor er in der Tür des Oval Office erschien. Sein Gesicht war ganz rot und aufgedunsen, als litte er an einer heftigen allergischen Reaktion. Er nickte ihnen kurz zu, setzte sich dann mitten auf ein Sofa und schlug die Beine übereinander. Eine Minute später betrat Jansen zusammen mit dem Justizminister und Innenministerin Betty Tucker den Raum. Sie war wohl gerade erst gekommen, denn sie hatte diese gehetzte Miene, die man vermutlich bekam, wenn man wochenlang unzähligen Einrichtungen im ganzen Land Kontrollbesuche abstattete.
»Also dann, Bruce!« Der Vizepräsident war weit und breit der Einzige, der es sich erlaubte, den Präsidenten so anzureden. Jansen missfiel das, wie Wesley wusste, aber er ließ es sich nicht anmerken. »Jetzt stelle ich die Fragen. Und ich überlasse es Ihnen, ob Sie selbst darauf antworten möchten oder ob Sie einen Ihrer Kulis vorschicken.«
Jansen überhörte die Beleidigung und sah den Vize selbstbewusst an. »Schießen Sie los, Michael.«
»Ich nehme an, alle Anwesenden sind bereits im Bilde, worüber wir in Sunderlands Büro gesprochen haben?«
»Ja, das sind sie.«
Michael K. Lerner wandte sich an die anderen. »Sind Sie sich eigentlich darüber im Klaren, dass alles, was Sie in diesem Gebäude sagen, aufgezeichnet wird?«
Niemand antwortete. Aber was hätten sie auch sagen sollen? Das war eine erschütternde Information. Jetzt komm schon, Jansen, dachte Wesley Barefoot, das kann doch nicht wahr sein! Aber der Präsident verzog keine
Weitere Kostenlose Bücher