Das weingetränkte Notizbuch: Stories und Essays 1944-1990Fischer Klassik PLUS (German Edition)
ich.
Es war schon so oft passiert beim Saufen. Nach Nächten mit den Frauen der Straße. Nach wer weiß wie vielen Nächten, wer weiß wie oft, ohne irgendwelche Frauen der Straße.
Ich blieb eine Weile stehen, ehe ich nachsah.
Bitte, nur dieses eine Mal, lass sie da sein. Ich bin müde, wie man sieht, und nicht in allzu guter Verfassung. Fünf oder sechs Dollar genügen mir ja schon; für mich ist das so gut wie zehntausend Dollar für andere. Lass die Brieftasche da sein. Sie ist immer so warm, so vertraut, sie formt und streichelt die rechte Hinterbacke, sie schenkt ein wenig Hoffnung in dem bösen Traum. Viel verlange ich ja nicht, nur ein bisschen.
Ich fasste hin.
Die Brieftasche war weg.
Keine Überraschung. Andersrum wär’s eine Überraschung gewesen. Ein Wunder. Nächstenliebe.
Jedenfalls ging ich dann meine anderen Taschen durch, Hemd und alles, obwohl ich wusste, dass es nur ein blödes Routinemanöver war, um nicht der Wahrheit ins Auge zu sehen.
Ich war mal wieder gefilzt worden.
Der ausgeraubte Gute. Der wieder mal bepisste Anstand. Ach je.
Manchmal versteckte ich meine Brieftasche, weil ich wusste, dass die Haie da waren.
Ich klappte den Deckel der Mülltonne hoch und sah hinein. Sie war voll, und sie stank. Die Düfte, die da aufstiegen, vertrug ich nicht. Ich war sehr geruchsempfindlich. Ich kotzte direkt in die Tonne. Dann richtete ich mich auf.
Ich war ein schlauer Bursche. Oft versteckte ich meine Brieftasche richtig gut. Einmal hatte ich eine hinter dem Spiegel auf der Innenseite der Badezimmertür versteckt. Ich hatte im Suff den Spiegel losgeschraubt, die Brieftasche dahintergeklemmt und die Schrauben wieder festgezogen – damit die Straßenschöne, die auf meinem Bett wartete, sich nicht daran vergriff. Zwei Wochen später hatte ich sie wiedergefunden, als ich auf dem Klo saß und mir eine leichte Wölbung an dem Spiegel auffiel.
Ich fing an, den Müll aus der Tonne zu ziehen, wobei ich noch einmal hineinkotzte. Ich holte alles raus: Kaffeesatz, Grapefruitschalen und diversen Mischmasch, darunter etwas, das aussah wie ein menschlicher Kopf. Ich verteilte es ringsum.
Keine Brieftasche.
»He, du armer weißer Schlucker, wenn du so’n Hunger hast, geb ich dir was zu beißen!«
»Nein, nein, Ma’am, das geht schon.«
»Ja? Alles okay? Na, wenn das so ist, dann raff mal den Scheiß auf und tu ihn wieder dahin, wo du ihn hergeholt hast.«
»Okay.«
Ich hob den Müll auf und warf ihn zurück in die Tonne. Bei einigen Papiertüten krachte der Boden durch, und ich musste das Zeug mit den Händen aufraffen und in die Tonne stopfen. Dabei kotzte ich noch mal ein bisschen.
Ich klappte den Deckel zu und verbeugte mich vor der Dame, die hinter ihrer Fliegengittertür stand und mich beobachtete.
»Okay«, sagte sie, »und jetzt weg hier, verstanden?«
Da erinnerte ich mich an meine Schläue, hob die Tonne an und schaute drunter. Keine Brieftasche.
»Scheiße, was soll das denn?«
»Nichts, Ma’am.«
Ich ging die Gasse entlang zur Straße. Es musste gegen sieben oder acht Uhr früh sein, denn Autos flitzten in beiden Richtungen, gesteuert von Hundertschaften, die ihre Jobs hassten und Angst hatten, sie zu verlieren. Darüber brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Ich ging zu meiner Bude; meine Bude hatte ich noch, und da gab es keine Schaben, weil ich Mäuse hatte. Das gefiel mir zwar nicht, aber ich fand mich damit ab. Es war besser, als wenn ich keine Mäuse gehabt hätte, weil ich Ratten hatte.
In Pennen und Missionen hatte ich nie gut geschlafen.
Fast triumphierend steuerte ich meine Bude an.
Zerstreuungen im Literatenleben
Es ist ein warmer Sommerabend, ein sehr warmer Sommerabend, und ich sitze in der Küche, die Schreibmaschine auf dem Tischchen für die Frühstücksecke, nur haben wir keine Frühstücksecke, und zum Frühstücken ist uns immer zu schlecht. Jedenfalls versuche ich irgendeine Story runterzuschreiben, na ja, nicht irgendeine, sondern eine dreckige Story für so ein Magazin (Gott, ist Schreiben schwer – hätte man das nicht auch einfacher sagen können?). Dabei knickt dauernd ein Tischbein weg, und ich muss aufhören zu tippen, weil der ganze Tisch kippt und es die Schreibmaschine, die Flasche und das Tischbein festzuhalten gilt, damit nicht meine ganze Welt zusammenbricht: Irgendein Suffkopf hat eines Abends das Bein losgetreten, und ich hab’s mit Leim, Hammer, Nägeln und allem probiert, und nichts hält, weil das Holz gerissen ist, aber
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