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Das weiße Amulett

Das weiße Amulett

Titel: Das weiße Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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nickte aber zustimmend. Kurze Zeit später traten sie aus der Glaspyramide im großen Innenhof des Louvre heraus und schlenderten über die Sandwege der Tuilerien. Am Wasserbecken mit der Fontäne blieb Karen stehen und schaute zum Obelisken auf der Place de la Concorde. Sie seufzte und setzte sich auf einen der freien Stühle am Bassin. Mansfield setzte sich neben sie und sah sie über den Rand seiner Sonnenbrille an. »Was ist mit Ihnen?«
    »Ich weiß nicht. Die ägyptischen Artefakte … es zieht mich zu ihnen hin, aber gleichzeitig stößt es mich ab, sie in den Schaukästen zu sehen. Und dann der Obelisk dort hinten …« Sie schüttelte den Kopf, während auch Mansfield jetzt zu dem Obelisken schaute. Er glaubte zu wissen, was sie an dem Anblick störte.
    »Er gehört nicht hierher, nicht wahr?«
    »Nein. Ramses II. hat ihn sicherlich nicht fertigen lassen, damit er in einem fremden Land von lauten Maschinen umfahren wird, deren Abgase ihn zerstören.«
    Mansfield musste ihr innerlich Recht geben. Trotzdem fiel ihm auch ein Gegenargument ein.
    »Aber der Obelisk erzählt den heutigen Menschen immerhin von dem Ruhm des großen Ramses. Die Pharaonen haben gern an den Grenzen ihres Reichs Stelen mit ihren Siegen aufgestellt. Ich finde, der Obelisk erfüllt hier eine gute Aufgabe.«
    Karen sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, den er nicht deuten konnte.
    »Dafür wurde er aber nicht gebaut. Er war eine Einheit mit einem zweiten Obelisken und dem Tempel in Luxor. Jetzt ist diese Einheit zerstört, und der Obelisk steht allein in einer Welt, die nicht die seine ist.« Sie wandte den Kopf ab und starrte auf das hellblaue Wasser des Fontänebeckens. »Die Ägypter bauten nicht um der Kunst oder der Schönheit willen, sondern zum Eigenzweck des Gegenstands«, fuhr sie voller Überzeugung fort. »Jede Statue, jeder Obelisk und jeder Tempel hatte eine Aufgabe zu erfüllen, war mit Leben beseelt.« Sie sah erneut zu dem Obelisken. »Die Werke verlieren in der Fremde ihre Kraft.«
    Mansfield verstand sie sehr gut. Es ging ihr nicht um das Kulturgut, sondern um die Werte der alten Welt, und den Respekt, den man ihnen schuldete.
    Er blickte in ihr angespanntes Gesicht und wunderte sich über ihr detailliertes Wissen und die überraschende Intensität, mit der sie die alte Kultur verteidigte. Noch nie war er jemandem begegnet, der so sehr mit der Geschichte verbunden war. Als ob sie ein Teil ihrer selbst wäre und die Gegenwart sie nur schmerzen würde.
    »Ich glaube, wir sollten von diesem Ort verschwinden«, sagte er, und sie gingen zum Wagen zurück.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte Karen neugierig, als sie merkte, dass es Richtung Süden ging und sie das Stadtviertel Montparnasse beinahe durchquert hatten.
    »Das wird eine Überraschung«, orakelte Mansfield. Eine Viertelstunde später parkte er den Wagen unter alten Platanen im vierzehnten Arrondissement und führte Karen auf den Flohmarkt neben dem Parc Georges Brassens. Er hatte ihren empfindlichen Glücksnerv genau getroffen und schaffte es, den grünlichen Schimmer in ihre traurigen Augen zurückzuzaubern.
    »Ein Flohmarkt? Michael, Sie sind ein Engel!«
    »Das wohl nicht. Aber ich dachte mir, dass Ihnen dieser alte Trödel eher gefallen würde als die Haute Couture des La Fayette.«
    Was Karen nur mit einem energischen Nicken bestätigen konnte, ehe sie sich den ersten Bücherstand vornahm. Nach einer halben Stunde hatte sie bereits drei Bücher gekauft und war Mansfield einige Meter voraus, als dieser leicht gelangweilt nach einem gut erhaltenen Bildband über Vincent van Gogh griff. Plötzlich legte sich eine Hand auf die seine und hielt sie fest. Erstaunt schaute er auf und blickte in das fahle Gesicht einer dicklichen Frau mittleren Alters mit rabenschwarzen langen Haaren. Sie sahen sich direkt in die Augen.
    »Sie ist in Gefahr«, sagte die Frau ruhig, aber bestimmt und deutete mit dem Kopf in Karens Richtung.
    »Ich weiß«, erwiderte Mansfield und wollte seine Hand zurückziehen, aber die Frau hielt sie fest.
    »Sie müssen bei ihr bleiben«, forderte sie mit eindringlicher Stimme.
    »Ich weiß«, hörte Mansfield sich nochmals sagen und fühlte sich wie hypnotisiert. Es dauerte einige Sekunden, ehe er wieder zu sich kam und sich umschaute, aber die Alte war verschwunden. Benommen strich er sich über die rechte Hand und spürte immer noch den Druck der Frau. Ein Kribbeln schlich seinen Arm hinauf in den Nacken und bohrte sich in sein Hirn.
    Wo war

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