Das weiße Amulett
sah, wie ihre Hand zitterte, als sie sich für einen kurzen Moment am felsigen Durchgang abstützte, und merkte, dass sie so schnell wie möglich aus diesem Grab herauswollte. Ohne ein Wort machte er ihr Platz.
Hinter ihnen kam El Bahay, der die letzte Viertelstunde abwartend hinter dem seltsamen Paar verbracht hatte und ihnen nun mit einem geheimnisvollen Lächeln ans Tageslicht folgte.
Sie ließen die Unterwelt hinter sich.
Re hatte sie wieder.
Zur selben Zeit las in Kairo ein Mann mit schwarzer Galabiya die Überschrift einer Zeitung, in der von einer Entführung zweier Touristen in der Oasenregion um Bahariya berichtet wurde. Mit grimmigem Lächeln zerrte er das Papier aus dem alten Metallständer und überflog den Artikel. Unwillkürlich griff er nach seinem goldenen Dolch.
Sie war hier. Er hatte sie wieder gefunden.
Kennard wollte seine Gäste zur Nilfähre zurückfahren, als einer seiner engsten Mitarbeiter ihn für mehrere Fragen in Beschlag nahm. Er versuchte das Gespräch so kurz wie möglich zu halten, doch das Problem erwies sich größer als erwartet. Und so bat er Karen und Mansfield um Entschuldigung, aber die Grabungskampagne stelle ihn jeden Tag vor große Herausforderungen. Er sehe sich leider außerstande, sie zur Fähre zurückzubringen, aber Faruk fahre sie. Die Amulette für die Sorbonne könne sie übermorgen in Kairo abholen. Er reichte ihr einen Brief und verabschiedete sich von ihnen.
Faruk brachte Karen und Mansfield mit einem Geländewagen sicher zum Nil zurück. Sie fuhren diesmal nicht an den Tempeln des Westufers vorbei, sondern nahmen die kürzere Strecke parallel zum Fluss. Doch auch von hier aus konnte man alles genau erkennen – rechts die Felsentempel von Hatschepsut und Mentuhotep in Deir-el-Bahari und links die grünen Felder bis zum Nil, dann das dunkle Wasser des heiligen Flusses und auf der anderen Seite die großen Tempel von Karnak und Luxor.
Karen lehnte sich gegen Mansfield, als sie über den Fluss auf die alte Hauptstadt Ägyptens schaute. Sie seufzte schwermütig, was ihn dazu veranlasste, sie zärtlich auf die Stirn zu küssen.
»Der Besuch des Grabes hat dir nicht gut getan«, stellte er fest und streichelte über ihre blasse Wange. »Wir sollten für heute Schluss machen und ins Hotel zurückfahren.
Nach einem guten Essen wird es dir gleich wieder besser gehen.«
Karen nickte nur, als er sie in den Arm nahm und sie müde ihren Kopf an seine Schulter legte.
Hatte Julius sie nicht nach Ägypten geschickt, damit sie sich hier erholen und ausruhen sollte? Davon war sie allerdings weit entfernt.
37
Kurz vor Sonnenuntergang klopfte es im New Winter Palace an der Hotelzimmertür, was Mansfield stutzig machte, denn er hatte keinen Zimmerservice bestellt und erwartete auch keine Gäste.
»Mr Mansfield?«
Er legte die Egypt Gazette auf den Couchtisch und starrte auf die Tür, durch deren unterer Rahmen ein sanftes Licht aus dem Flur hereinschien. Karen war im Badezimmer, man hörte das leise Rauschen der Dusche. Anscheinend hatte sie nichts von dem abendlichen Besucher bemerkt. Langsam ging Mansfield zur Tür und sah durch den Spion, dann entriegelte er das Sicherheitsschloss und öffnete die Tür.
»Mr El Bahay, was für eine Überraschung.«
El Bahay warf einen vorsichtigen Blick in die Suite. »Ist Mrs Alexander nicht bei Ihnen?«
»Doch, aber sie nimmt gerade ein Duschbad. Sie wird gleich fertig sein. Wollen Sie nicht hereinkommen?« Er trat zur Seite und machte eine einladende Armbewegung, doch El Bahay schüttelte den Kopf.
»Ich will nicht stören.«
»Aber Sie stören doch nicht. Bitte kommen Sie herein.«
»Nein danke. Ein Freund erwartet mich zum Abendessen. Ich habe wirklich keine Zeit. Entschuldigen Sie bitte. Vielleicht ein anderes Mal.« Doch er wusste, dass es kein anderes Mal geben würde.
»Und was führt Sie hierher, wenn ich fragen darf?«
El Bahay löste die Uhr von seinem linken Handgelenk und reichte sie Mansfield.
Dieser verzog argwöhnisch das Gesicht. »Funktioniert sie nicht mehr?«
»Sie funktioniert einwandfrei.« El Bahay hielt sie Mansfield hin, und dieser sah, wie das Gold und die Diamanten im hellen Schein der Deckenlampen glitzerten. Seine Augenbrauen zogen sich zu einem Strich zusammen.
»Nein, Mr El Bahay, ich nehme die Uhr nicht zurück. Ich habe sie Ihnen geschenkt.«
»Weil Sie ein schlechtes Gewissen hatten.«
»Wer sagt das?«
El Bahay lächelte rätselhaft. »Ich gebe sie Ihnen zurück, weil auch ich ein
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