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Das weisse Kaenguruh

Das weisse Kaenguruh

Titel: Das weisse Kaenguruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Praxenthaler
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dicht bebaut, beherrschte ein sattes Grün die Aussicht. München glich einem großen Garten mit vielen Häusern, so kam es ihm vor. Und selbst das Olympiastadion, das nach ein paar Minuten unter ihm auftauchte, war im Grunde genommen eine einzige Grünfläche. Mit seinen unzähligen lindgrünen Sitzen und dem Spielfeld paßte es sich der Umgebung an und wirkte dabei wie eine riesige, fleischfressende Pflanze. Kein Wunder, daß die Bayern zu Hause immer gewinnen, dachte sich Billy.
    Ein paar Grad weiter bekam er dann unverhofft eine knappe, aber sehr aufschlußreiche Lektion in Sachen Münchener Humor geboten. Er hatte sich eben noch gewundert, wer wohl in den absurden Wohnmaschinen jenseits des Mittleren Rings wohnen wollte, als er auf den Dächern der kleinen Häuschen des Olympiadorfes die Frage las. »Was ist Öffentlichkeit?« hatte jemand in großen weißen Buchstaben darauf geschrieben. Und das war schon eine ganz eigene Art von Selbstironie, fand Billy. Da stand nämlich nicht etwa etwasSinnvolles auf den Dächern wie »Servus im Land der Amigos« oder »Warum Edmund Stoiber?«, nein, einfach nur: »Was ist Öffentlichkeit?« Mit so viel schonungsloser Auseinandersetzung mit den zentralen Fragen des Lebens hatte Billy in München nicht gerechnet. Die Menschen hier hatten offensichtlich keine Ahnung von den wirklichen Problemen der Welt, aber wenigstens schienen sie Spaß dabei zu verstehen.
    Ein paar Minuten und einen schnellen Veltliner später wurde es dann allerdings wieder ernst. Ein riesiges Industrieareal kam in Billys Blick und lenkte seinen Fokus zum ersten Mal auf das Wesentliche. Die letzte halbe Stunde hatte er einfach nur so dagesessen und sich die Stadt und ihre Umgebung durch den Kopf gehen lassen. Aber das war jetzt vorbei. Das Industrieareal war nämlich nichts anderes als die Münchener Fabrikationsstätte von BMW, und das konnte nur heißen, daß jetzt endlich die Zeit gekommen war, sich ernsthaft dem Thema Karriereplanung zu widmen. Spätestens, als er das BM W-Emblem auf dem Dach des konzerneigenen Museums entdeckte, bestand kein Zweifel mehr. »Achten Sie in Zukunft mehr auf die Zeichen«, hatte Johann, der Freie Herr von den Maaren, schließlich erst vor drei Tagen zu ihm gesagt. Und Billy hatte sich diesen Satz sehr gut gemerkt.

Vorstellungsgespräch.
    Die Lage war natürlich völlig aussichtslos. Billy hatte ein beschissenes Examen, hatte selbst dafür ewig gebraucht, er hatte keine studienbegleitenden Praktika vorzuweisen, und zu allem Überfluß fuhr er auch noch einen Mercedes. Wer bei BMW wollte schon so jemanden haben? Für eine Karriere als kirgisischer Autoschieber hätte die Qualifikation vielleicht gerade noch gereicht, aber für eine Stelle bei den heißbegehrten Bayerischen Motorenwerken war das schlicht zu wenig. Da gab es nichts zu beschönigen, das sah Billy ein. Auf demblanken Papier war er eine Null, die keiner gebrauchen konnte. Aber eben nur auf dem Papier, und genau darin, so wurde ihm schneller klar, als das Restaurant sich beharrlich weiterdrehte, lag auf der anderen Seite seine Chance. Es war allerdings auch seine einzige. Und er wollte sie nutzen.
    Wenn es etwas gab, das ihn für einen Posten bei BMW empfahl, dann war das seine Geschichte. Es war die Geschichte eines an sich gescheiterten Mannes, der sich kurz vor seinem endgültigen Untergang doch noch zusammenreißt, um der Welt zu beweisen, daß mit ihm zu rechnen ist. Es ging um die Wiederherstellung seiner männlichen Ehre und geistigen Würde, und dafür war Billy bereit, alles zu geben und über sich hinauszuwachsen. Dieses Motiv, so glaubte er fest, würde selbst den härtesten Personalchef aus den Golfschuhen hauen und zu seiner sofortigen Einstellung führen. Allerdings nur dann – und hier kam der Haken – allerdings nur dann würde das funktionieren, wenn er die Möglichkeit bekam, sein Anliegen persönlich vorzutragen. Eine beliebige Bewerbung mit Lebenslauf und nettem Paßfoto würde dagegen wahrscheinlich nicht mal eine Stunde in der Poststelle überleben.
    Er brauchte einen Termin mit der Personalabteilung. Ganz einfach und am besten gleich mit dem Boss persönlich. Und dem würde er dann frank und frei erklären, wer er war, wer sein Vater war, was das »Autoparadies mit Herz« war, wer seine Freundin gewesen war, warum sie zu seiner Ex-Freundin wurde, und wie er gedachte, es ihr und dem Rest der Welt heimzuzahlen. Er würde darlegen, warum er sich ausgerechnet für BMW entschieden habe, und

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