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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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ist heute schon dabei, wenn ein unverheiratetes Mädchen ein Kind bekommt? Ist nicht mehr so wie in unserer Jugend.« Russ schüttelte den Kopf, während der Pathologe ihn durch den leeren Wartebereich Richtung Haupttür dirigierte.
    »Es gibt viele, die gingen über Leichen, um ein ungewolltes Kind loszuwerden«, meinte Dvorak mit säuerlichem Lächeln. »Das schimpft sich Abtreibung und ist vollkommen legal.«
    Russ hatte keine Lust, sich auf diese Schiene einzulassen. »Was ich wissen muss: Weshalb sollte jemand über Leichen gehen, um eine ungewollte Mutter loszuwerden?« Heller Sonnenschein überflutete die gebohnerten Dielen, als er die Tür aufmachte. »Ist wärmer geworden. Müssen an die fünf Grad ein.«
    »Schön«, stimmte der Pathologe zu. »Solange man sich nicht darauf verlässt, dass es so bleibt.«

6
    D vorak hat Recht gehabt, dachte Russ. Sobald die Sonne hinter den Bergen versank, fiel das Quecksilber. Beim Einbiegen in die Church Street konnte er die Zeit-und Temperaturanzeige vor dem Sparkassengebäude sehen, der Farmer’s and Merchant’s Savings and Loan: minus sechs Grad; und die Luft war so klar, dass es über Nacht noch kälter werden musste. Zumindest war es mit dem Schnee eine Zeit lang vorbei. Höllisch viel Schnee für Anfang Dezember. Beschissen zum Autofahren, aber gut für all die Wintersporthotels.
    Bei einer roten Ampel fiel Russ’ Blick auf den Aktendeckel neben ihm. Russ hatte den Rest des Nachmittags damit verbracht, allen drei Zahnärzten der Stadt die Röntgenaufnahmen vorzulegen. Fehlanzeige. Er wollte gar nicht erst an die Möglichkeit denken, dass es sich um eine Touristin handelte – jemand, der nach Millers Kill raufgekommen war, um nach Antiquitäten zu stöbern, die Natur zu bewundern oder Ski zu fahren, und der dieses Fleckchen Erde ideal gefunden hatte, um ein Baby auszusetzen. Wenn das Mädchen von außerhalb stammte, dann würde Russ vielleicht nie ihre Identität feststellen können.
    Er passierte St. Alban’s, bog auf die Elm und dann in Clares Einfahrt. Die Verbindung mit dieser Kirche. Das war der Schlüssel, sein bisher bester Anhaltspunkt. Entweder das tote Mädchen oder derjenige, der es geschwängert hatte, standen irgendwie in Beziehung zu St. Alban’s, und Russ brauchte die Pastorin, um das herauszufinden. Er stellte den Motor ab, blieb einen Moment sitzen und betrachtete das Licht, das in den Fenstern schimmerte, und die Rauchwölkchen aus dem Schornstein. Er gestand sich ein, dass er auch mal nach Clare sehen wollte. Nicht dass ihr seine Idee sonderlich gefallen würde. Er stieg aus und ging über den schneebedeckten Rasen, der unter seinen Sohlen knirschte.
    Das Haus im holländischen Kolonialstil hatte ein tiefes Walmdach und einen Portikus, der von vier schlichten Säulen getragen wurde. Russ wischte auf der Treppe den Schnee von seinen Stiefeln, während er zur Tür hinaufstieg. Bei der baufälligen Garage hinten musste es noch einen Eingang geben, den Clare benutzte. Ziemlich schade, denn die Flügeltür mit ihrem Schnitzwerk und ihren kleinen Buntglasfenstern war sehr schön. Russ liebte alte Häuser.
    Er drückte auf die schmiedeeiserne Klinke. Sie ließ sich mühelos bewegen. Trotz allem, was Clare erlebt hatte, schloss sie immer noch nicht ab. Seufzend betätigte er die Klingel. Er konnte von drinnen ein kurzes, gedämpftes Poltern, dann ein schwaches »Ich komme!« hören.
    Der linke Türflügel wurde weit geöffnet. Clare stand da, umgeben von wirbelndem Rauch. Sie hustete. »Russ! Mit Ihnen habe ich gar nicht gerechnet. Verstehen Sie etwas vom Feuermachen?« Er wischte seine Stiefel an dem zerlumpten Läufer ab, der vor der Tür ausgebreitet lag, und folgte Clare in die Diele. Die Luft war so beißend, dass ihm die Augen brannten.
    »Meine Güte, Clare. Was treiben Sie denn da? Nasses Laub verbrennen?«
    Sie wartete darauf, ihm den Mantel abzunehmen. »Ich habe versucht, das Holz im Wohnzimmerkamin anzuzünden. Aber irgendwas ist schief gegangen.« Er befreite sich aus seinem massigen Nylonparka, und sie hängte das Ding an einen alten Kleiderständer.
    Zu beiden Seiten des Eingangs befanden sich breite Türbögen. Nach der Größe des Messingleuchters zu urteilen, der in dem Raum links von Russ hing, sollte das wohl ein Esszimmer sein, obgleich es im Moment eher wie ein Warenlager aussah; Kisten und schlecht zusammenpassende Holzstühle beanspruchten den Großteil des Raumes. Russ verbiss sich ein Lächeln. Offenbar konnte sich Clare

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