Das Weisse Kleid Des Todes
Ich weiß, ich mute Ihnen einiges zu. Ist ja erst Ihre, was, dritte Woche hier? Vielen Dank für alles.«
»O Gott. Meine Predigt sollte von Cody handeln und danach sollte der Aufruf für die Burns folgen, damit sie ihn in Pflege bekommen. Muss ich jedermann erzählen, dass wir glauben, dieses Mädchen war seine Mutter? Nicht dass ich die Sache unter den Teppich kehren möchte, keineswegs, aber es wird merkwürdig klingen: ›Da ist das Baby, da sind die Adoptiveltern und, ach übrigens, würden Sie sich bitte die Bilder von der toten Mutter anschauen?‹«
»Nein. Ich würde diese Information für mich behalten. Sagen wir einfach, ich hätte Grund zu der Annahme, dass die Tote irgendwie zu St. Alban’s in Beziehung stand, und damit basta.«
Clare lehnte sich vor und stützte ihre Ellbogen auf die Knie. »Trotzdem werde ich nach der Predigt meinen Aufruf machen, damit die Gemeinde die Burns mit Briefen an das Jugendamt unterstützt. Ich kann nicht glauben, dass sie irgendetwas mit dem Tod dieses Mädchens zu tun haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Gott im Himmel, hoffentlich finden Sie bald heraus, wie die Tote hieß. Das klingt so gefühllos, sie andauernd ›dieses Mädchen‹ zu nennen.«
Er nickte. »Ich weiß. Aber bitte fragen Sie sich mal, warum Sie nicht glauben können, dass die Burns es vielleicht doch waren. Weil sie Ihnen nie Grund zu der Vermutung gaben, sie wären zu so etwas imstande, oder weil es Bekannte von Ihnen, Gemeindemitglieder und nette Leute sind?«
Clare runzelte die Stirn und biss sich erneut auf die Unterlippe. »Die beiden sind sehr darauf konzentriert, Cody zu bekommen. Aber ich glaube, das wäre jeder, der sich schon lange um ein Kind bemüht. Und sie erscheinen mir eher wie Leute, die ein Problem immer mit Geld oder mit der Macht des Gesetzes auszuräumen versuchen.« Sie sah Russ an. »Ich habe mich erst heute früh mit ihnen getroffen, habe ich das schon gesagt?«
»Sie haben gestern Abend von diesem Termin gesprochen. Wie ist es gelaufen?«
»Gut. Karen waren ganz aufgedreht, voller Hoffnung, und Geoff war … wie immer. Wie ein Paar, das einige Stunden zuvor einen Mord begangen hat, führten sie sich bestimmt nicht auf.«
»Sind Sie schon mal jemandem begegnet, der gerade einen Mord begangen hat?«
»Hm.« Sie schaute in den Kamin.
»Hm?«
»Ich habe Menschen gesehen, die gerade einen anderen Menschen getötet hatten. Reicht das?«
Die Schärfe in ihrer Stimme ließ Russ zurückzucken. »Ich wollte nicht schnodderig sein. Ich meine nur, man merkt so etwas nicht unbedingt.«
Sie winkte ab. »Schon gut, tut mir leid. Empfindlicher Punkt. Sie haben Recht.« Sie sah ihm in die Augen. »Ich gebe zu, dass etwas in mir keines meiner Pfarreimitglieder in die Sache verwickelt sehen will. Dass ich nicht glauben kann, einer meiner …«
»Ehrenwerten netten Episkopalen?«
Sie lächelte schmerzlich. »Einer meiner netten Episkopalen könnte derart brutal sein. Ja, hätte man jemand mit vergiftetem Sherry ermordet …«
»Oder mit einem Golfschläger tot geprügelt …«
»Oder mit einem Shetland-Pulli von Talbots erwürgt …« Sie lachten beide. Clare grinste ihn an. »Freut mich wirklich, dass Sie vorbeigekommen sind.« Sie schob mit einer Hand ihr Haar zurück. »Die Entdeckung dieser Leiche hat mich den ganzen Tag beschäftigt, aber ich konnte mit niemandem darüber reden.«
Russ nahm seine Brille ab und putzte sie an seinem Hemd. »Ja, dazu braucht man jemanden, der dabei war. Und deshalb gehen Bullen nach Feierabend lieber in die nächste Kneipe statt nach Hause. Das ist genau dasselbe, wie wenn Sie mit Ihren Soldatenkumpels irgendwo von der Patrouille kommen, einen heben, blöde Witze reißen und immer und immer wieder durchkauen, was los war.«
»Weil es sonst niemand nachvollziehen kann.«
»Genau.« Sie betrachteten einander verständnisvoll, dann wandte sie sich dem Kamin zu. Er drehte seine Tasse zwischen den Handflächen und beobachtete den Widerschein der Flammen in den vielfältigen Oberflächen des Raumes. Eine Zeit lang lauschten sie schweigend dem Fauchen und Knacken des Kaminfeuers, ohne Verlegenheit zu empfinden. Russ trank seinen Kaffee aus und lächelte in sich hinein. Er hatte so viele Jahre keine neue Freundschaft mehr geknüpft, dass er vergessen hatte, wie schön es sein konnte – jemanden kennen zu lernen, dessen Gedanken einerseits neu, andererseits aber vertraut waren.
»Was ist?«, fragte Clare.
Russ war nicht bewusst, dass er sie
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