Das Weisse Kleid Des Todes
Sie könnten ihn vielleicht brauchen.«
Clare hielt sich das Glas unter die Nase und atmete tief ein. »Ah …« Sie trank einen Schluck, der die empfohlene Menge überstieg. »Gott segne Sie, Lois.«
»Meinen Sie das offiziell?«
»Darauf können Sie Gift nehmen! Wie läuft’s da drin?«
»Ich habe etwas von ›Pastorinnen, die ihre Grenzen überschreiten‹ gehört, aber der Ausdruck ›einmischungssüchtiges Weib‹ ist bisher nicht gefallen.«
»Oh, na großartig.«
»Chief Van Alstyne ist zauberhaft. Er hat nicht mit Hochglanzvergrößerungen von Mordopfern rumgewedelt; deshalb sind die Leute ein kleines bisschen entspannter.«
»Schon Mut angetrunken?«
»Die zweite Flasche habe ich selbst raufgeholt. Ich dachte, der Chief könnte auch einen vertragen, aber er hat abgelehnt. Kein Alkohol im Dienst, nehme ich an.« Clare trank ihr Glas aus und seufzte erneut, diesmal vor Zufriedenheit. Die Sekretärin plapperte weiter. »Er sieht wirklich ganz gut aus, finden Sie nicht?«
»Wer?«
»Chief Van Alstyne. Dieser Wuschelkopf und diese sexy Fältchen um die Augen. Er hat so eine raue Männlichkeit, uramerikanisch, wie die Models in den Ralph-Lauren-Anzeigen, nur nicht mit diesem leicht schwulen Touch. Der Chief ist sehr … heterosexuell.«
Clare lachte. »Und außerdem ist er sehr verheiratet, Lois. Wie viel Sherry haben Sie eigentlich schon intus?«
»Keine Bange«, sagte Lois, während sie wieder auf den Gang entschwebte. »Ich bin sicher, es ist noch genug da, um ein zweites Gläschen für Sie zusammenzukriegen.« Clare folgte ihr.
In dem großen sonnendurchfluteten Gemeindesaal schien alles beinahe normal. Während sie sich zu dem weiß gedeckten Erfrischungstisch an der Rückwand durcharbeitete, grüßte sie diejenigen, die sie mit Namen kannte, und lächelte denen zu, die ihr noch fremd waren. Mae Bristol – rund und blass wie ein zu stark aufgegangenes Brötchen – war gerade dabei, aus dem Silberservice der Kirche Kaffee und Tee auszuschenken. Sie trug immer ein bedrucktes Seidenkleid mit dazu passendem Hut – diesen Sonntag waren es Kohlköpfe in Blautönen. Die Sherryflaschen standen zwischen Kaffeemilch und Tassen und waren bereits fast alle leer.
»Was soll der Blödsinn, Miss Bristol? Zu Hause lassen meine Eltern mich auch Wein trinken!« Ein schlankes Mädchen in modisch eng anliegendem Patchwork-Kostüm beugte sich über die weiße Tischdecke. Ihre Frisur war lupenreiner Nostalgielook der Siebziger: glatt, glänzend, mit Mittelscheitel. Sie erinnerte Clare an ihre High-School-Kameradinnen, deren Aufmachung immer so wirkte, als wären sie den Seiten des Seventeen -Magazins entsprungen, und deren Haar immer zu schaumiger Perfektion gefönt war. Sie wusste noch, wie unattraktiv und unterentwickelt sie sich selbst gefühlt hatte – mehr Junge als Mädchen, aber mit Kleidern, die direkt vom Basketballfeld oder von der Aschenbahn zu kommen schienen, und mit Fingernägeln, die immer Ränder von schwarzem Schmierfett trugen, weil sie ihrem Vater bei der Flugzeugwartung half. Das war jetzt – wie lange? – siebzehn oder achtzehn Jahre her. Komisch, wie sich die Menschen veränderten, wie aber die Grundtypen ewig gleich blieben. Es würde immer Mädchen geben, die von den Teenie-Göttern gesegnet waren, und solche wie Clare. Sie griff nach einer der Sherryflaschen. Gott sei Dank besaß das Alter ausgesprochene Privilegien. Das Mädchen warf ihr einen Blick jugendlicher Verachtung zu.
»Dann soll deine Mutter herkommen und dir ein Glas holen, Alyson. Bis dahin gebe ich dir keinen Sherry – basta.« Mit einer ärgerlichen Kopfbewegung schüttelte das Mädchen ihr sensationelles Haar und marschierte davon, so gut es Plateaustiefel erlaubten.
»Das schwierige Alter«, sagte Clare, während sie ihr Glas randvoll schenkte und die Flasche an Miss Bristol zurückgab.
Die Ältere fixierte Clare mit ihren dunklen Augen. »Ein verzogenes Gör«, sagte sie. »Ich hatte sie in der vierten Klasse, und sie war schon damals so. Alyson wird immer im schwierigen Alter sein, ob sie siebzehn ist oder siebzig.«
»Ah«, sagte Clare, »na dann.«
»Machen Sie sich nichts draus, wenn ich kein Blatt vor den Mund nehme, Reverend. In meiner Zeit als Lehrerin hatte ich immer das Gefühl, ich dürfte das nicht, darum hole ich es jetzt nach. Apropos: Einige von denen, die sich in dieser Kirche für die Chefs halten, möchten Ihnen wohl ihre Meinung über diese Polizeisache mitteilen. Lassen Sie sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher