Das Weisse Kleid Des Todes
Sachen, Kristen.«
Das Mädchen schnappte sich die Handtasche und begann, sie zu durchwühlen. »Moment! Moment! Ich kann ihnen beweisen, dass es nicht Katie ist. Ich kann in ihrem Wohnheim anrufen. Ich hab die Nummer. Ich hab sie dabei.« Sie kramte in ihrem Täschchen so wild wie ein kleines Tier, das ums Überleben kämpft. Schließlich fischte sie ein plastikgebundenes Adressbuch von der Größe einer Zigarettenschachtel heraus. »Da. Da ist sie. Katies Nummer. Ich kann sie anrufen, sie ist in Albany.« Sie sah sich stirnrunzelnd in dem Büro um. »Ist allerdings ein Ferngespräch. Darf ich Ihr Telefon benutzen, Rosaline?«
»Aber natürlich«, sagte die Filialleiterin. Sie nahm Kristen an den Schultern und schob sie zu dem Apparat auf dem kunststoffbeschichteten Schreibtisch. »Nur zu, Kristen.« Sie sah über die Schultern des Mädchens nach Russ – eine wortlose Bitte um Hilfe. Kristen hämmerte die Nummer in die Tasten.
Der Chief machte eine beschwichtigende Geste, um der Leiterin mitzuteilen, dem Mädchen gehe es so weit gut. »Na, komm schon, komm schon …«, sagte Kristen. »Geh ran.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Emily! Hier Kristen, Katies Schwester. Kann ich mit Katie sprechen?« Eine Pause. »Ist sie im Seminar?« Eine noch längere Pause. Kristens Augen füllten sich mit Tränen, und sie schlug sich ihre Hand auf den Mund. Sie blickte zu Russ auf. »Katie wollte angeblich am Freitagmorgen mit dem Bus nach Millers Kill fahren. Seither hat ihre Wohnungsgenossin sie nicht mehr gesehen.« Sie blinzelte, und die Tränen strömten ihr über die Wangen. »O Gott, o Gott …«
Russ griff nach dem Hörer. »Lassen Sie mich mal«, sagte er, und Kristen übergab ihm das Telefon. »Hallo, hier Russ Van Alstyne, Polizei Millers Kill. Mit wem spreche ich bitte?«
»Emily Colbaum. Katies Mitbewohnerin.« Die Stimme klang zittrig. »Ist Katie irgendetwas zugestoßen?«
»Tut mir leid, Miss Colbaum. Wir glauben, dass sie am Freitagabend ermordet wurde. Darf ich Ihnen ein paar –«
Ein weinerlicher Laut schnitt ihm das Wort ab. Er wartete. Kristen lehnte sich inzwischen an die Filialleiterin und wischte ihre Augen mit einem feuchten Taschentuch ab. Ihre Wangen waren vom Make-up schwarz verschmiert, und ihr Lippenstift – rot wie getrocknetes Blut – war verwischt. »Emily? Miss Colbaum?«, probierte Russ es erneut. Noch mehr Schluchzen. Er legte eine Hand über den Hörer. »Kristen, würden Sie jetzt mit mir rüber ins Leichenschauhaus kommen, oder brauchen Sie noch Zeit?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein«, flüsterte sie. »Wenn sie es ist, will ich es wissen. Gehen wir.«
Russ versuchte es noch einmal am Telefon. »Miss Colbaum? Emily, glauben Sie, Sie können mit mir reden, oder brauchen Sie noch ein bisschen Zeit, um sich zu fassen?« Sie sagte schluchzend so etwas wie: »Mir dreht sich der Kopf.«
»Emily, hören Sie zu. Hören Sie? Ist sonst noch jemand da? Eine Mitbewohnerin?«
Es folgte ein verwirrender Satz über Heather, die eine Klausur in organischer Chemie verpasst hätte.
»Gut. Ich möchte, dass Sie sie rufen …« Er hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg, während Emily genau dies tat. »Ähm … sehr schön. Sorgen Sie dafür, dass Heather bei Ihnen bleibt, bis Sie sich ruhiger fühlen, okay? Falls nötig, gehen Sie rüber in die Uni-Klinik und sagen denen, was los ist. Es gibt dort bestimmt jemanden, mit dem Sie reden können, der Ihnen bei Bedarf vielleicht auch ein Beruhigungsmittel verpasst.« Feuchtes, weinerliches Schniefen. »Ich gebe Ihnen die Nummer des Polizeireviers von Millers Kill. Haben Sie was zum Schreiben? Sehr schön.« Er nannte ihr seine Direktdurchwahl. »Ich werde Sie später noch mal anrufen, Emily, dann unterhalten wir uns ausführlicher. Aber wenn Ihnen inzwischen etwas einfällt, irgendetwas, dann wählen Sie diese Nummer. Sollte ich nicht da sein, können Sie mit dem Dienst habenden Beamten sprechen.«
Emily stotterte ein verheultes Danke und versprach, falls sie irgendetwas wisse, werde sie anrufen.
Kristen kämpfte sich unterdessen lautlos weinend, aber gefasst, in ihren langen, schwarzen Mantel und trocknete sich mit den Taschentüchern ihr Gesicht ab. »Wollen Sie, dass ich Sie begleite?«, fragte die Filialleiterin mit sorgenvoller Miene, die Russ gleichermaßen dem Mitleid als auch der Überlegung zuschrieb, die Bank am Montagmorgen unbeaufsichtigt zu lassen.
»Nein, im Leichenschauhaus erwartet uns schon eine, äh,
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