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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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fand Russ für gewöhnlich entspannend. Obwohl die Ortschaft zum Polizeibezirk Millers Kill gehörte, fuhr er auf den Gebirgsstraßen und in dem winzigen Dorf nur selten Streife. Deshalb verband er mit diesem Gebiet größtenteils angenehme Aktivitäten: Besuche auf der Farm seiner Schwester, angeln im See, wandern in den Hügeln oder picknicken im »Musterungsfeld«, wo sich während des französischen Indianerkriegs und der darauf folgenden Revolution die Bürgerwehr versammelt hatte. Auf dem Rückweg von Cossayaharie konnte man fast durch jeden Krieg fahren, an dem diese Gegend teilgenommen hatte. Da gab es die bröckelnden Granitsteine auf dem Musterungsfeld, dann einen großen Marmor-Obelisken vor dem alten Gemeindefriedhof, zur Erinnerung an zwei Brüder, die im Krieg von 1812 ertrunken waren. Vor der Einfahrt nach Millers Kill passierte man auch dessen Friedhof, bewacht von einem Unionssoldaten mit hängendem Schnurrbart und Gewehr, der ewig gen Süden zu seinen gefallenen Kameraden blickte. Dann ging es über die Brücke, wo Steinpyramiden mit Messingplaketten dem heiligen Angedenken der Toten des Großen Krieges gewidmet waren, und weiter in die Stadt, wo eine vierkantige Säule die Namen jener trug, die während des Zweiten Weltkriegs in den verschiedenen Bereichen der Streitkräfte gedient hatten. Wer seine Reise am Postamt beendete, der konnte seinen Finger über die Namen von Männern gleiten lassen, die dort auf einer Bronzetafel verewigt waren – Gefallene auf der koreanischen Halbinsel, zu einer Zeit, als Russ noch in den Windeln lag.
    An seinen eigenen Krieg erinnerte nichts. Er wusste nicht, wie er darüber dachte, und er wollte auch nicht lange genug nachgrübeln, um eine Entscheidung treffen zu können. Bei der Operation Wüstensturm hatte es etwas gegeben, das seine Mutter als gewaltiges Aufflammen von Patriotismus bezeichnete, und seitdem war ab und zu die Rede von einem Denkmal für die übrig gebliebenen Veteranen. Aber er hielt sich da raus. Er wollte nicht zu diesen Fettwänsten unten in der American Legion gehören, die endlos über ihre Kriegsabenteuer schwadronierten, als hätten sie vergessen, wie es wirklich war. Vermutlich alles Schreibstubenhengste und Fahrzeugmechaniker. Diejenigen, die wussten, wie es wirklich gewesen war, redeten fast nie darüber, nicht in der Legion-Hall-Bar und nicht vor irgendeinem Ausschuss zur Errichtung eines Denkmals.
    Er fuhr an dem Obelisken für die Brüder vorbei, die in den Fluten des Erie-Sees umgekommen waren, und nahm die nächste Rechtsabbiegung. Zu beiden Seiten der schmalen Straße drängte sich dichtes Rot-und Schierlingstannengehölz. In den Bergen verschwanden die Nadelbäume allmählich, und die Landschaft öffnete sich auf weite, hügelige Weiden, die von kahlen Harthölzern gesäumt wurden. Das Sträßchen tauchte in Täler ab und schlängelte sich weiter, vorbei an eingezäunten Feldern, an Farmhäusern und einem gelegentlichen Wohnanhänger. Am Straßenrand plätscherte etwa eine Meile ein steiniger Bach, dessen schwarzes Wasser unter der dick verschneiten Böschung kaum sichtbar war. Russ kam an schlafenden Obstgärten voller Zwergapfelbäume, an neuzeitlichen Futtersilos und jahrhundertealten Scheunen vorbei. Bei Jock Montgomerys Haus sah er zwei der Kinder im Hof einen Schneemann bauen und verlangsamte, hupte und winkte.
    Die Stoner-Farm lag etwa eine Meile hinter der der Montgomerys. Mit knirschenden Reifen bog Russ in die Zufahrt und parkte neben Mindys Chevelle. Er war erleichtert, als er Ethans alten Pick-up am Rand des splittbestreuten Weges sah, der den Hügel zum Kuhstall hinaufführte.
    Mindy Stoner trat auf die Veranda. Sie wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Russ«, sagte sie, »was verschlägt dich denn hierher?« Mindy war eine große, schlanke, grobknochige Frau, deren kantiges Gesicht in ihrer Schulmädchenzeit fast hässlich gewirkt hatte. Das Alter jedoch schmeichelte ihr, und nun, in ihren Vierzigern, hatte sie die karge Schönheit eines von Schnee freigewehten Berggipfels.
    Russ hielt das zusammengefaltete Schriftstück hoch. »Tut mir leid, Mindy, aber ich bin dienstlich hier. Darf ich reinkommen?«
    Sie sah nach hinten in die Küche, dann hielt sie die Tür auf. »Meinetwegen. Nicht nötig, hier draußen rumzufrieren.« Russ trat den Matsch von seinen Stiefeln und folgte ihr durch einen kleinen Vorraum in die Küche, die mit Holzschränken und mit Vorhängen in blau-weißem Geschirrtuchkaro

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