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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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allem, wenn man sich selbst als Erben einsetzen soll.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte Lea und nickte. Sie konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, ihm tröstend über den Arm zu streichen.
    In der Folge mieden sie das Thema, und nach einiger Zeit meldete Kai das Bedürfnis nach einer Tasse Kaffee an, dem Lea dankbar beipflichtete. So kehrten sie um und stiegen erneut in den Wagen, um nach Groß Heide weiterzufahren. Das Lokal, in dem sie bereits einmal gegessen hatten, erwies sich um diese Tageszeit als nahezu leer. Dem ersten Kaffee folgte ein zweiter. Die Zeit ging dahin, und als sich das Restaurant gegen sechs Uhr mit Gästen füllte, animierten die verlockenden Gerüche aus der Küche schließlich auch Lea und Kai zu einer Bestellung.
    Bis sie gegen acht Uhr aufbrachen und nach Verchow zurückfuhren, fanden die beiden unverfänglichen Gesprächsstoff. Unterwegs jedoch ertappte Lea sich dabei, dass sie innerlich abschaltete und nur noch einsilbige Antworten gab. Es dämmerte bereits, und die Landstraße begann sich allmählich in das zu verwandeln, was sie am Vorabend gewesen war: Schauplatz eines unheimlichen Erlebnisses, das Lea nur mit Mühe verdrängt hatte.
    »Du bist so still«, bemerkte Kai, der inzwischen, ohne Antrag oder Erklärung, zum »Du« übergegangen war.
    Lea nickte. »Am liebsten würde ich mich an der Straße auf die Lauer legen.«
    »Glaubst du, das Geistermädchen erscheint wieder?«, fragte Kai, wobei er sich um einen scherzhaften Ton bemühte.
    »Ich gebe zu, wahrscheinlich ist es nicht«, räumte Lea ein. »Sie wurde innerhalb mehrerer Jahre nur selten gesehen, gibt also vermutlich nicht jede Nacht eine Vorstellung. Trotzdem sagt mir mein Gefühl, dass ich Glück haben könnte.«
    »Na gut«, meinte Kai. »Mir ist es recht, solange ich bei dir sein darf.«
    Lea gab sich Mühe, seine letzten Worte nicht überzubewerten, hielt nach dem abgeknickten Leitpfosten Ausschau und bremste, als er in Sicht kam. Dann setzte sie rund fünfzig Meter zurück und lenkte den Wagen auf den schmalen Randstreifen. Farne und Buschwerk streiften über die Seitenfenster, und unter den Rädern knackten Zweige. Die Tarnung war nicht perfekt, doch Lea hoffte, dass das satte Rot des Wagens in der Dämmerung mit dem Gebüsch verschmelzen würde. Sie stoppte, schaltete den Motor und nach kurzer Überlegung auch das Innenlicht ab.
    »Und jetzt?«, fragte Kai, als sie keinerlei Anstalten zum Aussteigen traf.
    »Nichts weiter«, sagte Lea. »Ich werde warten, bis es dunkel ist.«
    »Im Ernst?«
    »Wenn es dir zu langweilig ist, fahre ich dich nach Hause und komme allein wieder.«
    »Nein, nein, schon gut!«, wehrte Kai ab. »Ich bleibe bei dir.«
    Eine Zeitlang schwiegen beide und blickten die verlassene Straße hinunter. Die Schatten des Waldes verschmolzen zu schwarzen Wänden. Irgendwo in der Nähe schrie eine Eule. Ansonsten herrschte vollkommene Stille. Eine Viertelstunde verging, ohne dass ein einziges Fahrzeug die Landstraße passierte.
    »Wie lange willst du warten?«, fragte Kai.
    »Wenn sie kommt, dann in Kürze«, sagte Lea überzeugt. »Sie zeigt sich immer gegen einundzwanzig Uhr, das hat mir eine Frau im Dorf versichert. Gestern war es genauso.«
    »Einundzwanzig Uhr.« Seufzend warf Kai einen Blick auf seine Armbanduhr. »Dann müssen wir noch eine gute halbe Stunde überbrücken. Tja, was macht man nachts an einer einsamen Straße in einem geparkten Wagen, um sich die Zeit zu vertreiben?«
    »Ich weiß, dass du die Sache nicht sonderlich ernst nimmst«, bemerkte Lea.
    »Doch, doch – ich nehme sie ernst, weil
du
sie ernst nimmst«, behauptete Kai und drehte sich auf dem Beifahrersitz zu ihr um. »Ich halte es zwar für das wahrscheinlichste, dass sich nur irgendjemand einen Jux erlaubt, doch deswegen würde ich dich um keinen Preis allein lassen.«
    Seine Stimme klang plötzlich ungewöhnlich warm und sanft.
    Pass bloß auf
!
, warnte die altbekannte Stimme in Leas Kopf.
Er meint es ernst, und die Gelegenheit ist günstig. War es wirklich eine gute Idee, hier mit ihm zu parken?
    Sie zwang sich, seinen Blick nicht zu erwidern, sondern weiterhin durch die Frontscheibe nach draußen zu starren.
    »Lea?«
    Kai hatte sich ihrem Gesicht genähert. Seine Stimme schien nur noch eine Handbreit von ihrem Ohr entfernt. Unwillkürlich fühlte sie, wie sich ihre Muskeln in der Erwartung verkrampften, seinen Atem an ihrem Hals zu spüren.
    »Ja?«, gab sie in neutralem Ton zurück.
    »Könnten wir   … eine

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