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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht, was es ist.«
    »Womöglich wird es besser, wenn du nicht allein schläfst«, meinte Kai verschwörerisch.
    Lea seufzte, blickte zu Boden und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
    Warum eigentlich habe ich gerade behauptet, dass ich
allein sein möchte?,
fragte sie sich.
Gewohnheit? Feigheit? Angst vor dem, was ich selbst in Gang gebracht habe?
    Als sie das Gesicht wieder hob, hatte sie sich gefasst, und ihre Zurückhaltung war verflogen.
    »Vielleicht hast du recht.« Sie trat einen Schritt zurück und ließ die Tür offen. »Komm herein.«

Mittwoch
    In dieser Nacht blieb Lea tatsächlich von Albträumen verschont. Als das Zwitschern der Vögel sie weckte, stellte sie erstaunt fest, dass es bereits nach neun Uhr war. Das Sonnenlicht, gedämpft durch die Vorhänge vor dem Schlafzimmerfenster, warf einen rötlichen Glanz auf die Schultern des Mannes, der schlafend neben ihr lag. Es war warm, und sie hatten die Bettdecken zur Seite geschoben, sodass Lea sich mit einem Gefühl der Zärtlichkeit in der Betrachtung seines nackten Körpers verlieren konnte.
    Und darauf hättest du beinahe verzichtet?,
dachte sie seufzend.
Ein schöner Mann   … und noch dazu ein guter Liebhaber. Habe ich das verdient?
    Ja,
fand sie plötzlich,
habe ich.
Es war lange her, dass sie zum letzten Mal an der Seite eines Mannes aufgewacht war. Zwar hatte sie seit der Geburt ihres Sohnes keineswegs das Leben einer Nonne geführt, doch sämtliche Affären waren von kurzer Dauer und im Rückblick enttäuschend gewesen. Seit mehr als vier Jahren war überhaupt nichts mehr gelaufen, aber der Grund dafür lag – wie Lea inzwischen glaubte – in ihrer eigenen Zurückhaltung. Es war gar nicht so sehr die Mutterrolle, die sie von Abenteuern abgehalten hatte, sondern eher das fortschreitende Alter: Man wurde anspruchsvoll, plante auflange Sicht, urteilte kritischer und bedachte Konsequenzen.
    Eigentlich schlimm,
dachte Lea.
Es wird höchste Zeit, wieder ein bisschen Spontaneität zu wagen.
Diesmal beschloss sie, keine Gedanken an die Zukunft zu verschwenden, und hoffte lediglich, dass das seit Jahren mitgeschleppte Kondom in ihrer Handtasche   – Verfallsdatum: Dezember 2008 – seinen Zweck erfüllt hatte.
    Leise stand sie auf, schlich sich ins Wohnzimmer und setzte Kaffee auf, wobei sie sich beherrschen musste, um nicht vor sich hin zu summen. Sie fühlte sich eigentümlich beschwingt. Während sie am Küchentresen lehnte und die Kaffeemaschine schnurrte, lächelte sie in sich hinein.
    Ich hatte schon fast vergessen, wie sich das anfühlt: voll gepumpt mit Hormonen, Muskelkater in den Beinen, trockener Schweiß auf der Haut.
    Ein Klopfen an der Wohnungstür riss sie aus ihren Gedanken. Rasch huschte sie ins Schlafzimmer zurück, schlüpfte in ein leichtes Sommerkleid, das sie bisher noch gar nicht getragen hatte, und eilte barfuß zur Tür. Als sie einen Spalt breit öffnete, blickte sie in das besorgte Gesicht Rudolf Zirners.
    »Guten Morgen. Entschuldigen Sie, aber ist mein Neffe vielleicht hier? Ich dachte, er wäre zum Einkaufen gefahren, aber sein Wagen steht draußen.«
    »Oh.« Lea errötete. »Nein, er   … er ist   …«
    Zirner zog die Augenbrauen hoch, als aus dem Schlafzimmer das Knarren des Bettes zu hören war.
    »Rudi?«, rief Kai verschlafen.
    Der alte Mann blickte in Richtung der Schlafzimmertür, dann auf Lea, die mit zerzausten Haaren und in nachlässig geschlossenem Kleid vor ihm stand. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich.
    »Ist schon gut!«, rief er zurück. »Lass dir Zeit! Ich wollte dich nur bitten, ob du noch den Ventilator vom Dachboden holen könntest, bevor du wegmusst. Du weißt ja, ich komme die Leiter nicht mehr hoch   …«
    »Ja, kein Problem!«, antwortete Kai.
    Rudolf Zirner warf Lea einen verschmitzten Blick zu und wandte sich zum Gehen. »Tut mir leid, wenn ich gestört habe. Schönen Tag noch!«
    Als Lea die Tür geschlossen hatte und ins Wohnzimmer zurückging, kam Kai ihr entgegen – halb nackt, nur in Jeans und Socken. Während Lea noch überlegte, ob es unangemessen förmlich wäre, ihm einen »Guten Morgen« zu wünschen, schloss er sie in die Arme, drängte sie mit dem Rücken gegen den Kühlschrank und küsste sie stürmisch.
    »Hey!«, lachte sie verlegen, als er sie freigab. »Lass mich mal atmen.«
    »Ungern!«, gab er grinsend zurück. »Am Morgen schmeckst du fast noch besser als in der Nacht – falls das überhaupt möglich ist. Wenn Rudi mich nicht brauchen würde  

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