Das weiße Mädchen
Brille weiteten sich entsetzt. »Nein!«, stieß sie hervor. »Nein, das glaube ich nie und nimmer!«
»Ihr Mann hatte die Herforths seinerzeit wegen dieser Katzenseuche angezeigt«, erinnerte Lea sie. »Die Polizei wird also gewusst haben, dass zwischen ihm und den Herforths nicht gerade Freundschaft bestand. Hat man Ihren Mann nicht befragt, als Christine verschwand?«
»Nein!«, fuhr Mara auf. »Warum auch? Jeder im Dorf wusste, dass mein Mann der Anstand in Person war! Er hat zeitlebens nicht einmal einen Strafzettel für Falschparken bekommen und würde nie etwas Unrechtes tun.«
Lea konnte ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. Es war seltsam anzusehen, wie entrüstet die arme Frau plötzlich ihren tyrannischen Ehemann verteidigte.
»Wenn das die Schlüsse sind, die Sie aus meinen Worten ziehen, hätte ich nicht kommen sollen«, sagte Mara, deren Stimme nun ungewohnt fest klang. Sie machte Anstalten, sich zu erheben. »Wenn Sie meinen Mann verdächtigen …«
»Das tue ich nicht«, versicherte Lea und ergriff ihren Arm, um sie zum Sitzenbleiben zu nötigen. »Ich stelle nur Fragen und versuche, die Zusammenhänge zu verstehen. Ich glaube nicht, dass Ihr Mann etwas mit dem Verschwinden von Christine Herforth zu tun hat. Ich wundere mich nur, warum die Polizei ihn nicht auf die Anzeige angesprochen hat.«
Mara sank langsam auf das Sofa zurück. Ihre Entschlossenheit schien zu wanken, und sie senkte erneut den Kopf, während sie nervös am Verschluss ihrer Handtasche nestelte.
»Es war nichts Besonderes«, sagte sie leise.
»Nichts Besonderes?« Lea runzelte die Stirn.
»Na ja«, druckste Mara herum. »Mein Mann hat … öfter mal jemanden angezeigt. Er sagte immer, es sei nun einmal sein Beruf, für Recht und Ordnung zu sorgen.«
»Tatsächlich? Wen hat er denn noch angezeigt?«
»Ich weiß nicht genau … Er hat es mir nicht immer erzählt. Unsere früheren Nachbarn hat er einmal verklagt, weil sie einen Zaun zu nahe an der Grundstücksgrenze gezogen haben, und irgendwelche jungen Leute, die im Wald ein verfallenes Haus besetzt hatten.«
»Ach – das Haus an der Straße nach Groß Heide?«
Mara nickte erschrocken. »Warum? Ist das wichtig?«
»Nein, nein«, wehrte Lea rasch ab. »Sagen Sie, können Sie sich vorstellen, dass einer der anderen Männer, Herr Gätner zum Beispiel oder der Tierarzt, etwas mit Christines Verschwinden zu tun haben?«
Mara schüttelte stumm den Kopf, mit so heftig zusammengepressten Lippen, dass alle Farbe aus ihnen wich. »Ich sollte jetzt besser gehen«, flüsterte sie. »Ich ahnte ja nicht, dass Sie mich dazu bringen wollen, meine Mitbürger zu verdächtigen. Am Ende machen Sie es noch publik …«
»Das werde ich nicht tun«, versprach Lea. »Schon deshalb nicht, weil ich mir ausmalen kann, was Ihr Mann mit Ihnen anstellen würde. Gestatten Sie mir noch eine Frage: Wie lange leben Sie schon in Verchow?«
»Mein Mann und ich sind 1979 nach unserer Hochzeit hierhergezogen.«
»Also kennen Sie praktisch alle Dorfbewohner seit langem.«
»Ja, aber ich werde Ihnen nichts mehr sagen, ganz gleich, über wen!«
»Nur die Ruhe«, bat Lea. »Eine letzte Frage: Gab esdamals in den Achtzigern jemanden mit den Initialen U. Z. im Dorf?«
Mara starrte sie verständnislos an. »U. Z.? Wie kommen Sie darauf?«
In diesem Moment wurde ihr Gespräch unterbrochen, denn draußen im Flur ging die Haustür.
»Rudi?«, rief Kai.
Mara Heimberger schreckte augenblicklich hoch, presste ihre Handtasche an sich und huschte zur Tür.
»Warten Sie!«, rief Lea, die gleichfalls aufgesprungen war.
Doch Mara hatte bereits die Türklinke ergriffen, und als Schritte auf der Treppe davon zeugten, dass Kai in das obere Stockwerk hinaufgegangen war, schlüpfte sie hinaus und rannte fluchtartig zur Haustür. Lea trat ans Fenster und beobachtete, wie sie die Straße hinabeilte, alle paar Meter nervös um sich blickend, als fürchtete sie, verfolgt zu werden.
Das arme Geschöpf,
dachte Lea zum wiederholten Mal.
Leider ist es in der Tat unwahrscheinlich, dass ihr Mann etwas mit Christines Verschwinden zu tun hat … Andernfalls würde ich den Kerl mit Freuden ins Gefängnis bringen.
Lea hatte keine Zeit, die vielen neuen Informationen zu rekapitulieren, denn fünf Minuten später klopfte Kai an der Tür. Sie verschloss ihm den Mund mit einem Kuss, bevor er auch nur »hallo« sagen konnte, und zum Sprechen kamen sie erst eine volle Stunde später, als beide
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