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Das weiße Mädchen

Das weiße Mädchen

Titel: Das weiße Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Unbekannten in der vergangenen Nacht einzugehen. Womöglich hätte Kai darauf bestanden, augenblicklich die Polizei zu rufen, und das wollte Lea unbedingt vermeiden.
    Kai betrachtete das Haar stirnrunzelnd. »Das ist ein Pferdehaar.«
    »Ein
Pferdehaar?
«, fragte Lea erstaunt. »Bist du sicher?«
    »Als Junge bin ich vier Jahre lang geritten«, sagte Kai. »Das ist eindeutig das Schweifhaar eines Rappen.«
    »Interessant   … es gehört wahrscheinlich zu der Perücke, mit der sich unser Verdächtiger als Christine verkleidet.«
    »Und wie kommst du nun auf die Idee, dass er   …?«
    »Warte.« Lea griff in die Seiten, blätterte selbst und zeigte ihm die Bilder, auf denen der unbekannte Junge Christine verfolgte. »Schau: Er sitzt im Gebüsch und beobachtet sie   …, stellt ihr nach   …, bedrängt sie   … Auf dem letzten Bild flieht sie sogar vor ihm.«
    »Das kann doch alles Mögliche bedeuten«, meinte Kai skeptisch. »Vielleicht war er ihr Freund, und die beiden hatten Streit – oder er war einfach irgendein Jugendlicher, der sich in sie verliebt hatte.«
    »Nicht
irgendein
Jugendlicher«, korrigierte Lea und wies auf das Buchstabenmuster, das den Pullover des Jungen zierte. »Christine hat alle Figuren in ihren Zeichnungen mit Initialen versehen. Siehst du? – U.   Z.«
    »Und wer soll das sein?«
    Lea holte tief Luft. »Ich glaube, es ist dein Cousin   – Uwe Zirner.«
    Kai starrte sie mit offenem Mund an und ließ langsam das Buch sinken. »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Du selbst hast mir erzählt, dass dein Onkel ihn in die Psychiatrie einweisen ließ«, erinnerte ihn Lea. »Das musskurz nach Christines Verschwinden gewesen sein. Später weigerte er sich, seinen Vater wiederzusehen. Stattdessen kehrte er Jahre danach unter falscher Identität nach Verchow zurück. Ich habe keinen Beweis, Kai, aber ich bin so sicher, dass ich es beschwören könnte: Der Sohn deines Onkels ist der heimliche Bewohner des Herforth-Hauses, und er ist es auch, der sich als Christine verkleidet – wahrscheinlich, um zu verdrängen, was er ihr angetan hat.«
    Kai schüttelte den Kopf. »Das ist doch absurd, Lea.«
    »Sagte dein Onkel nicht, er habe einen Grund, sich für den Jungen zu schämen?«
    »Was soll das jetzt wieder heißen? Glaubst du etwa, Uwe hat Christine umgebracht, und Rudi hat es vertuscht?«
    Lea zuckte die Achseln. »Im Moment halte ich alles für möglich.«
    Kai musterte sie mit einer seltsamen Mischung aus Staunen und Mitgefühl. »Du hast eine rege Fantasie, nicht wahr? Arme Lea – ich glaube, einige der Gespenster, die dich verfolgen, sind deine eigenen Schöpfungen. Du sagst selbst, dass es keinerlei Beweis für irgendeine deiner Annahmen gibt   …«
    »Nein. Nur Intuitionen«, gab Lea zu.
    Kai nickte skeptisch. »Intuitionen, verstehe.«
    »Du wohnst doch oben in Uwes Zimmer!«, fiel Lea plötzlich ein. »Wenn du Beweise sehen willst, finden wir dort vielleicht welche. Hat dein Onkel irgendwelche Hinterlassenschaften seines Sohns aufbewahrt? Vielleicht Möbelstücke, Kleidung, Schulsachen, Spielzeug?«
    »Nein. Die jetzigen Möbel hat Rudi erst später angeschafft. Das Zimmer enthält nur ein Bett, zwei Schränke und ein Regal mit Akten aus Rudis Zeit beim Bauamt.«
    »Kann ich es sehen?«, fragte Lea.
    »Du meinst: jetzt sofort?«
    »Warum nicht? Dein Onkel ist doch draußen im Garten.«
    Kai erhob sich seufzend. »Wenn du darauf bestehst   …«
     
    Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf. Das Zimmer lag auf der linken Seite des Korridors, gegenüber den Räumen, die von Rudolf Zirner bewohnt wurden. Es war sehr klein, kaum zehn Quadratmeter groß. Das einzige Fenster öffnete sich zur Straßenseite. Wie Kai gesagt hatte, fanden sich ein Bett und zwei Schrankmöbel, die jedoch leer waren, soweit Kai sie nicht mit Wäsche belegt hatte. Lea zog sämtliche Schubladen auf und spähte in die hintersten Ecken.
    »Da gibt es nichts zu sehen«, meinte Kai, der lässig am Türrahmen lehnte, »außer meinen Unterhosen.«
    Lea wandte sich dem Regal zu. Es war mit Aktenordnern bedeckt, die nach Jahrgängen nummeriert und von Rudolf Zirner eigenhändig beschriftet waren. Kais skeptischen Blick ignorierend, zog Lea einen der Ordner heraus und öffnete ihn. Er enthielt sauber gelochte oder in Plastikhüllen gesteckte Papiere: Grundrisse von Gebäuden, maschinenschriftliche Berichte und Briefe mit dem Amtszeichen der Stadtverwaltung in Lüchow.
    »Bring bitte nichts durcheinander!«, bat Kai

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