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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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haben … Kommt doch rein, kommt doch beide rein! Ihr stört mich nicht, ich nutze das Tageslicht bis zur letzten Minute aus, denn in diesen verdammten Novembertagen kann man kaum etwas tun.« Er hatte sich wieder an die Arbeit gemacht, stand dabei vor einer Staffelei mit einem kleinen Gemälde, zwei Frauen, Mutter und Tochter, die in einer sonnigen Fensternische nähten.
    Die jungen Leute hinter ihm schauten zu.
    »Das ist ausgezeichnet«, murmelte Claude schließlich.
    Bongrand zuckte die Achseln, ohne sich umzudrehen.
    »Bah, eine kleine Dummheit. Man muß sich ja beschäftigen, nicht wahr? – Ich habe das bei Freunden nach der Natur gemacht, und ich säubere es ein wenig nach.«
    »Aber es ist doch fix und fertig, das ist ein Juwel an Wahrheit und Licht«, fuhr Claude fort, der in Hitze geriet. »Ach, wie schlicht das ist, sehen Sie, wie schlicht, das wirft mich um!«
    Auf einmal trat der Meister etwas zurück, kniff die Augen zusammen und sagte voller Überraschung:
    »Finden Sie? Das gefällt Ihnen wirklich? – Na schön, als Sie hereinkamen, war ich gerade dabei, dieses Gemälde scheußlich zu finden … Ehrenwort! Ich sah schon schwarz, ich war überzeugt, daß ich nicht mehr für zwei Sous Talent habe.« Seine Hände zitterten, sein ganzer großer Körper wurde von den Wehen des Schaffens geschüttelt. Er legte seine Palette weg, er kam, mit den Armen in der Luft herumfuchtelnd, wieder auf sie zu; und dieser mitten im Erfolg alt gewordene Künstler, dessen Platz in der französischen Schule gesichert war, schrie ihnen zu: »Das wundert euch, aber seit Tagen frage ich mich, ob ich überhaupt eine Nase zu zeichnen verstehe … Ja, bei jedem meiner Bilder spüre ich immer noch die große Aufregung eines Anfängers, das Herz klopft, mich überkommt eine Bangigkeit, die den Mund austrocknet, kurzum ein gräßlicher Bammel. Ach, der Bammel, junges Volk, ihr glaubt ihn zu kennen, und ihr habt nicht einmal eine Ahnung, was das ist, denn, mein Gott, wenn ihr ein Werk verpfuscht, dann strengt ihr euch eben an, ein besseres zu machen; niemand fällt über euch her, während wir, die Alten, an die man ein bestimmtes Maß anlegt, die wir gezwungen sind, uns selber gleich zu bleiben, wenn nicht zu übertreffen, nicht nachlassen dürfen, ohne ins Massengrab zu purzeln … Los doch, berühmter Mann, großer Künstler, zermartre dein Hirn, verglühe dein Blut, um noch zu steigen, immer höher, immer höher; und wenn du auf dem Gipfel auf der Stelle trittst, dann schätze dich glücklich, benutze deine Füße dazu, so lange wie möglich auf der Stelle zu treten; und wenn du spürst, daß es bergab geht mit dir, nun ja, dann scheitere vollends und wälze dich im Todesringen deines Talents, das nicht mehr zeitgemäß ist, in der Vergessenheit, in die du mit deinen unsterblichen Werken geraten bist, ganz fassungslos über deine ohnmächtige Anstrengung, mehr zu schaffen!« Seine laute Stimme war zu einem donnernden Schlußausbruch angeschwollen; und auf seinem großen roten Gesicht lag ein Ausdruck der Angst. Er schritt auf und ab; ungestüm brach es aus ihm heraus: »Ich habe euch zwanzigmal gesagt, daß man immer Anfänger bleibt, daß die Freude nicht darin besteht, oben angekommen zu sein, sondern aufzusteigen, noch die Unbeschwertheit des Berganstürmens zu empfinden. Allein ihr versteht mich nicht, ihr könnt mich nicht verstehen, man muß das selber durchmachen … Denkt doch! Man erhofft alles, man erträumt alles. Das ist die Stunde der grenzenlosen Illusionen: man hat so tüchtige Beine, daß die schwersten Wege kurz erscheinen; man wird verzehrt von einer solchen Gier nach Ruhm, daß die ersten kleinen Erfolge einem den Mund mit einem köstlichen Geschmack erfüllen. Was für ein Schmaus, wenn man seinen Ehrgeiz wird befriedigen können! Und man ist fast soweit, und man schindet sich voller Glück! Dann ist es geschafft, der Gipfel ist erobert, jetzt gilt es, auf ihm zu bleiben. Nun beginnt das Grauen, man hat den Rausch ausgeschöpft, man findet, er war kurz, bitter im Grunde, nicht soviel wert wie der Kampf, den es gekostet hat. Nichts Unbekanntes mehr kennenzulernen, keine Gefühle mehr zu fühlen. Der Hochmut hat seine Portion Ruhm bekommen, man weiß, daß man seine großen Werke von sich gegeben hat, man wundert sich, daß sie nicht lebhaftere Genüsse gebracht haben. Schon von diesem Augenblick an leert sich der Horizont, keine neue Hoffnung ruft einen dort mehr, es bleibt nur noch das Sterben. Und dennoch

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