Das Werk - 14
bewohnte seine Mutter, die das Bett nicht mehr verließ, das große Zimmer, während sich das Ehepaar mit dem anderen und dem Ankleideraum, der zwischen den beiden Räumen lag, begnügte. Und das war alles, eine richtige Pappschachtel, Schubkastenfächer mit papierdünnen Trennwänden. Arbeit und Hoffnung erfüllten indessen das Häuschen, das geräumig war im Vergleich zu den Bodenkammern der Jugendjahre und bereits durch den beginnenden Wohlstand und Luxus heiter wirkte.
»Na?« rief er. »Hier haben wir wenigstens Platz! Ach, das ist doch viel bequemer als in der Rue d’Enfer! Du siehst, ich habe ein Zimmer für mich ganz allein. Und ich habe einen eichenen Schreibtisch gekauft, und meine Frau hat mir diese Palme geschenkt, in dem alten Topf aus RouenSteingut … Na, das ist doch piekfein!«
Gerade kam seine Frau herein. Sie war groß, hatte ein ruhiges und heiteres Gesicht, schöne braune Haare und trug über ihrem sehr schlichten schwarzen Popelinekleid eine lange weiße Schürze; denn obwohl das Dienstmädchen ständig im Hause war, befaßte sie sich mit der Küche, war stolz auf einige ihrer Gerichte, sorgte für gutbürgerliche Sauberkeit und Feinschmeckerei im Haushalt.
Sofort waren Claude und sie wie alte Bekannte.
»Sag Claude zu ihm, Liebling … Und du, Alter, sag Henriette zu ihr … Nicht Madame und nicht mein Herr, oder ihr müßt mir jedesmal fünf Sous Strafe zahlen.«
Sie lachten, und sie entschlüpfte, weil sie in der Küche gebraucht wurde wegen eines Gerichts aus Südfrankreich, einer Bouillabaisse78, mit der sie den Freunden aus Plassans eine Überraschung bereiten wollte. Das Rezept dazu hatte sie von ihrem Mann selber, sie hatte darin den Bogen raus, wie er sagte.
»Deine Frau ist reizend«, sagte Claude, »und sie verwöhnt dich sicher.«
Aber Sandoz, der am Tisch saß, die Ellbogen zwischen den im Laufe des Vormittags geschriebenen Seiten des Buches, an dem er jetzt arbeitete, begann vom ersten Roman seiner Reihe zu sprechen, den er im Oktober veröffentlicht hatte. Ach, sein armes Büchlein, das wurde schön zugerichtet! Das war ein Abschlachten, ein Niedermetzeln, wobei die ganze Kritik hinter ihm herbrüllte, einen Hagel von Verwünschungen losließ, als hätte er Menschen in finsteren Waldesgründen ermordet. Und er lachte darüber, war eher angeregt dadurch, mit seinen festen Schultern und der breitschultrigen Gelassenheit eines Arbeiters, der weiß, was er will. Über eines jedoch wunderte er sich, über das tiefe Unverständnis dieser Kerle, deren auf Schreibtischecken zusammengepfuschte Artikel ihn mit Dreck bewarfen, ohne daß sie das geringste von seinen Absichten zu ahnen schienen. Alles wurde in denselben Schimpfkübel geworfen: seine neue Untersuchung über den Menschen in seiner physiologischen Bedingtheit, die der Umwelt zukommende allmächtige Rolle, die weite, ewig in der Schöpfung begriffene Natur, das Leben endlich, das ganze allumfassende Leben, das von einem Ende des Reichs der Lebewesen zum anderen reicht und weder oben noch unten, weder schön noch häßlich kennt; und die Kühnheiten der Sprache, die Überzeugung, daß alles gesagt werden muß, daß es gräßliche Worte gibt, notwendig wie rotglühende Eisen, daß eine Sprache bereichert aus diesen Kraftbädern hervorgeht; und vor allem der Geschlechtsakt, der Ursprung und die ständige Vollendung der Welt, aus der Schande herausgezogen, in der man ihn verbirgt, wieder eingesetzt in seinen Ruhm, im Lichte der Sonne! Mochte man sich doch erbosen, er nahm das hin; aber er hätte zumindest gewollt, daß man ihm die Ehre erwies, ihn zu verstehen und sich wegen seiner Kühnheiten zu erbosen, nicht nur wegen der dummen Schweinereien, die man ihm unterstellte.
»Sieh mal«, fuhr er fort, »ich glaube, es gibt noch mehr einfältige als böse Leute … Die Form, die versetzt sie bei mir in Wut, der geschriebene Satz, das Bild, das Leben des Stils. Ja, der Haß auf die Literatur, das ganze Spießertum platzt vor Haß auf die Literatur!«
Er verstummte, von Traurigkeit befallen.
»Ach was«, sagte Claude nach einem Schweigen. »Du bist glücklich, du arbeitest, du schaffst etwas!«
Sandoz hatte sich erhoben, er machte eine Gebärde jähen Schmerzes.
»Ach ja, ich arbeite, ich treibe meine Bücher bis zur letzten Seite voran … Aber wenn du wüßtest! Wenn ich dir sagte, unter was für Hoffnungslosigkeit, unter was für Qual! Haben sich diese Mißgeburten nicht auch einfallen lassen, mich des Hochmuts zu
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