Das Werk - 14
immer wieder hingereicht wurden; und sie stand sogar von ihrem Stuhl auf, lief selber in die Küche, um den Rest Brühe zu holen, denn das Dienstmädchen verlor den Kopf.
»Iß doch!« rief ihr Sandoz zu. »Wir warten gern, bis du gegessen hast.«
Aber sie wollte nicht hören und blieb stehen.
»Laß doch … Reich Heber das Brot rüber. Ja, hinter dir, auf dem Buffet … Jory möchte lieber Scheiben zum Hineintunken.«
Sandoz stand nun ebenfalls auf, half beim Auf tun, während man mit Jory über die Pasteten scherzte, die er so liebte.
Und durchdrungen von dieser glücklichen Biederkeit, wie aus einem langen Schlaf erwacht, betrachtete Claude sie alle, fragte sich, ob er sie erst am Vortag verlassen hatte oder ob es vier Jahre her war, daß er dort an einem Donnerstag zu Abend gegessen hatte. Sie waren jedoch anders, er spürte, daß sie sich verändert hatten: Mahoudeau verbittert vom Elend, Jory versunken in seinen Genuß, Gagnière noch weiter weg, woandershin entflogen; und vor allem kam es ihm vor, als ginge von Fagerolles, der neben ihm saß, trotz seiner übertriebenen Herzlichkeit Kälte aus. Zweifellos waren ihre Gesichter etwas gealtert, abgenutzt vom Dasein; aber das war es nicht allein, Abstände schienen zwischen ihnen zu entstehen, er sah sie einzeln, sie waren einander fremd, obwohl sie Ellbogen an Ellbogen dichtgedrängt um diesen Tisch saßen. Außerdem war die Umgebung neu: eine Frau brachte heute ihren Liebreiz in die Tischrunde, beruhigte sie durch ihre Anwesenheit. Warum also hatte er angesichts dieses schicksalhaften Laufs der Dinge, die sterben und sich erneuern, dieses Gefühl von einem Wiederbeginn? Warum hätte er schwören mögen, er habe am Donnerstag der vergangenen Woche an diesem Platz gegessen? Und er glaubte schließlich zu verstehen: Sandoz, der war der alte geblieben, so starrköpfig festhaltend an seinen Herzensgewohnheiten wie an seinen Arbeitsgewohnheiten; er strahlte, daß er sie am Tisch seines jungen Haushalts bewirten konnte, so wie er einst gestrahlt hatte, mit ihnen sein mageres Junggesellenessen zu teilen. Ein Traum von ewiger Freundschaft ließ ihn unbeweglich verharren, solche Donnerstage folgten unendlich aufeinander, bis in ferne Zeiten. Alle auf ewig zusammen! Alle zur selben Stunde aufgebrochen und denselben Sieg errungen!
Er mußte wohl den Gedanken ahnen, der Claude stumm machte; über den Tisch hinweg sagte er mit seinem guten jugendfrischen Lachen zu ihm:
»He, Alter, da bist du also wieder! Himmeldonnerwetter, wie hast du uns gefehlt! – Aber du siehst ja, nichts ändert sich, wir sind alle dieselben … Nicht wahr? Ihr da!«
Sie antworteten mit Kopfnicken. Bestimmt, bestimmt!
»Bloß«, fuhr er freudestrahlend fort, »die Küche ist ein bißchen besser als in der Rue d’Enfer … Was habe ich euch da für Fraß vorgesetzt!«
Nach der Bouillabaisse kam ein Hasenpfeffer, und ein Geflügelbraten mit Salat bildete den Abschluß des Essens. Man blieb lange an der Tafel sitzen, der Nachtisch zog sich in die Länge, obwohl die Unterhaltung nicht so fieberhaft und so ungestüm war wie einst: jeder sprach von sich selber und verstummte schließlich, als er sah, daß niemand ihm zuhörte. Beim Käse jedoch, als man einen etwas herben geringen Burgunderwein probierte, von dem das Ehepaar für die Autorenhonorare des ersten Romans ein Faß kommen zu lassen gewagt hatte, wurden die Stimmen lauter, und es ging lebhafter zu.
»Also du hast mit Naudet einen Vertrag geschlossen?« fragte Mahoudeau, dessen knochiges Hungerleidergesicht noch hohlwangiger geworden war. »Stimmt es, daß er dir fünfzigtausend Francs im ersten Jahr zusichert?«
Fagerolles antwortete mit spitzem Mund:
»Ja, fünfzigtausend Francs … Aber nichts ist abgemacht, ich bin mir noch nicht schlüssig, das ist nicht einfach, sich so zu binden. Ach, ich lasse mich nicht einwickeln!«
»Verflixt!« murmelte der Bildhauer. »Du bist aber schwer zufriedenzustellen. Für zwanzig Francs am Tag unterschreibe ich, was du willst.«
Nun hörten alle Fagerolles zu, der sich als der vom beginnenden Erfolg überforderte Mann aufspielte. Er hatte immer noch sein hübsches beunruhigendes Hurengesicht; aber eine bestimmte Anordnung der Haare, der Schnitt des Bartes verliehen ihm Würde. Obwohl er dann und wann noch zu Sandoz kam, löste er sich doch von der Schar, jagte er über die Boulevards, suchte Cafés, Redaktionsbüros, alle Stätten auf, wo man Reklame und nützliche Bekanntschaften machen
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