Das Werk - 14
Wäschestück abwerfen und sich ihm tagelang, wochenlang nackt hingeben, nackt unter seinen Blicken beben, und ihn so zurückgewinnen, und ihn hinwegtragen, wenn er ihr wieder in die Arme fallen würde! Hatte sie denn etwas anderes zu bieten als sich selbst? War nicht dieser letzte Kampf gerechtfertigt, bei dem sie ihren Körper einsetzte, auf die Gefahr hin, nichts mehr zu sein, nichts weiter als eine reizlose Frau, wenn sie sich besiegen ließ?
Entzückt machte Claude zunächst eine Studie nach ihr, eine schlichte Aktstudie in der für sein Bild notwendigen Stellung. Sie warteten, bis Jacques zur Schule gegangen war, sie schlossen sich ein, und das Modellstehen dauerte Stunden. An den ersten Tagen litt Christine sehr darunter, daß sie sich nicht bewegen durfte; dann gewöhnte sie sich daran und wagte nicht, sich zu beklagen, aus Angst, ihn zu ärgern, hielt ihre Tränen zurück, wenn er sie herumstieß. Und bald wurde das zur Gewohnheit, er behandelte sie wie ein einfaches Modell und verlangte mehr von ihr, als wenn er sie bezahlt hätte, ohne jemals zu fürchten, daß er ihren Leib mißbrauchen könnte, da sie ja seine Frau war. Er benutzte sie zu allem, sie mußte sich alle Minuten ausziehen, wegen eines Armes, wegen eines Fußes, wegen der geringsten Einzelheit, die er benötigte. Das war ein Gewerbe, zu dem er sie herabwürdigte, eine Verwendung als lebendige Gliederpuppe, die er dort hinstellte und die er abmalte, wie er den Krug oder den Teekessel bei einem Stilleben abgemalt hätte.
Dieses Mal ging Claude ohne Hast vor; bevor er die große Gestalt entwarf, hatte er Christine bereits monatelang dadurch ermüdet, daß er den Entwurf unzählige Male abwandelte, weil er sich die Eigenart ihrer Haut gut einprägen wollte, wie er sagte. Endlich nahm er eines Tages die Skizze in Angriff. Das war an einem Herbstmorgen, an dem schon ein scharfer Nordostwind wehte: trotz des bullernden Ofens war es nicht warm in dem geräumigen Atelier. Da der kleine Jacques, der wieder krank war, wieder einen seiner Anfälle von schmerzhaftem Benommensein hatte, nicht zur Schule gehen konnte, hatte man beschlossen, ihn in der hinteren Stube einzuschließen, und ihm gesagt, er solle ganz artig sein. Und fröstelnd zog sich die Mutter aus, stellte sich in die Nähe des Ofens, blieb regungslos, behielt die Pose bei.
Während der ersten Stunde warf der Maler, ohne ein Wort an sie zu richten, von der Höhe seiner Leiter herab kurze scharfe Blicke auf sie, die sie von den Schultern bis zu den Knien durchsäbelten.
Eine träge Traurigkeit war über sie gekommen, und sie fürchtete ohnmächtig zu werden, wußte nicht mehr, ob sie unter der Kälte oder unter einer von weit her gekommenen Verzweiflung litt, deren Bitternis sie aufsteigen fühlte. Ihre Erschöpfung war so groß, daß sie taumelte und sich mühsam auf ihren eingeschlafenen Beinen hielt.
»Wieso, jetzt schon?« rief Claude. »Aber du stehst mir doch erst seit höchstens einer Viertelstunde! Du willst also nicht deine sieben Francs verdienen?« Er scherzte mit mürrischer Miene, entzückt von seiner Arbeit. Und kaum hatte sie sich unter dem Morgenrock, den sie sich übergeworfen, so weit erholt, daß sie ihre Glieder wieder gebrauchen konnte, da sagte er auch schon heftig zu ihr: »Los, los, keine Faulenzerei! Heute ist ein großer Tag. Man muß Genie haben oder verrecken.«
Als sie dann wieder ihre Pose eingenommen hatte, wieder nackt dastand in dem fahlen Licht und er wieder angefangen hatte zu malen, fuhr er fort, dann und wann Sätze von sich zu geben, in jenem Bedürfnis zu reden, das er immer empfand, sobald ihn seine Arbeit befriedigte.
»Es ist seltsam, was du für eine komische Haut hast! Sie saugt förmlich das Licht auf … So sollte man es nicht für möglich halten, daß du heute früh ganz grau bist. Und neulich warst du rosa, oh, ein Rosa, das unecht aussah … Mir fällt das auf die Nerven, man weiß nie so recht.« Er hielt inne, er blinzelte. »Trotzdem ist der Akt ganz großartig … Das setzt einen auffallenden Ton in den Hintergrund … Und das flirrt, und das wird verdammt lebendig, als ob man das Blut in den Muskeln fließen sieht … Ach, ein gut gezeichneter Muskel, ein gediegen gemaltes Glied in voller Klarheit, es gibt nichts Schöneres, nicht Besseres, das ist der liebe Gott! – Ich, ich habe keine andere Religion, davor könnte ich das ganze Leben auf Knien rutschen.« Und da er heruntersteigen mußte, um eine Tube Farbe zu holen, trat er zu
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