Das Werk - 14
Stunden, es wehte nicht mehr kühl aus dem Garten herauf, nur der Lackgeruch hing noch im Raum; nun wurde die Luft heißer, wurde säuerlich durch das Parfüm der Toiletten. Aber was vorherrschte, war bald der Geruch nach nassem Hund. Es mußte wohl regnen, einer dieser jähen Regengüsse im Frühling, denn die zuletzt Eingetroffenen brachten Feuchtigkeit mit, schwere Kleidungsstücke, die zu dampfen schienen, sobald sie in die Hitze des Saales kamen. Tatsächlich zogen seit einer Weile jähe düstere Flecke auf dem Leinen an der Decke vorüber. Claude, der hochblickte, ahnte dahingaloppierende, große, vom Nordwind gepeitschte Wolkenhaufen, auf die Scheiben des Oberlichts prasselnde Wasserhosen. Schattengeschiller lief die Wände entlang, alle Bilder wurden dunkler, das Publikum ertrank in Nacht, bis das Gewölk fortgeweht war und der Maler die Köpfe aus der Dämmerung wieder auftauchen sah mit denselben aufgerissenen Mündern, denselben in dummem Entzücken aufgerissenen Augen.
Aber eine andere Bitternis stand Claude noch bevor. Er gewahrte auf der Wand links das Bild von Bongrand, das dort neben dem von Fagerolles hing. Und vor diesem drängte sich niemand, die Besucher zogen voller Gleichgültigkeit vorüber. Dennoch war das die äußerste Anstrengung, der Schlag, den der große Meister seit Jahren zu führen suchte, ein letztes Werk, das in dem Bedürfnis, sich in seinem Niedergang seine Manneskraft zu beweisen, zur Welt gebracht worden war. Der Haß, den er gegen »Die Hochzeit auf dem Dorfe« hegte, gegen dieses erste Meisterwerk, mit dem man sein ganzes mit Arbeit angefülltes Leben erdrückte, hatte ihn dazu getrieben, den symmetrisch entgegengesetzten Vorwurf zu wählen, »Die Beerdigung auf dem Dorfe«, das Trauergeleit eines jungen Mädchens, das sich ungeordnet durch die Weizen und Haferfelder zog. Er rang mit sich selber, man würde schon sehen, ob er am Ende war, ob die Erfahrung seiner sechzig Jahre nicht ebensoviel wert war wie der glückliche Schwung seiner Jugend, und die Erfahrung war besiegt, das Werk würde ein düsterer Mißerfolg werden, das dumpfe Hinfallen eines alten Mannes, bei dem nicht einmal die Vorübergehenden stehenbleiben. Meisterhafte Einzelheiten waren noch immer zu erkennen, der Ministrant, der das Kreuz hielt, die Gruppe der Marienjungfrauen, die die Bahre trugen und deren auf hochrotes Fleisch aufgelegte weiße Kleider einen hübschen Kontrast zu dem schwarzen Sonntagsstaat des Trauerzuges quer durch das Grün bildeten; jedoch der Priester im Chorhemd, das Mädchen mit dem Banner, die Familie hinter der Leiche, das ganze übrige Gemälde war von einer trockenen Faktur, wirkte unangenehm vor lauter Wissen, steif vor halsstarrigem Bemühen. Es lag darin eine unbewußte schicksalhafte Rückkehr zur geschraubten Romantik, von der der Künstler einstmals ausgegangen war. Und das schlimmste dabei war wohl, daß die Gleichgültigkeit des Publikums ihren Grund in dieser Kunst aus einer anderen Zeit hatte, in dieser verschmorten und ein wenig matten Malerei, die das Publikum seit der Mode des großen Lichtgefunkels nicht mehr im Vorübergehen fesseln konnte.
Gerade betrat Bongrand mit dem Zögern eines schüchternen Anfängers den Saal, und Claude krampfte sich das Herz zusammen, als er sah, wie dieser einen kurzen Blick auf sein Bild warf, das einsam und verlassen dahing, dann einen anderen auf das Bild von Fagerolles, das Aufsehen erregte. In dieser Minute mußte es dem Maler wohl scharf zum Bewußtsein kommen, daß es aus war mit ihm. Wenn bisher die Angst vor dem langsamen Niedergang an ihm genagt hatte, so war das nur eine Ahnung gewesen; und nun hatte er jäh Gewißheit erlangt, er überlebte sich, sein Talent war gestorben, niemals mehr würde er lebendige Werke zur Welt bringen können. Er wurde sehr blaß, er machte eine Bewegung, als wolle er entfliehen, da redete ihn der Bildhauer Chambouvard, der mit seinem üblichen Schweif von Schülern durch die andere Tür kam, mit seiner fetten Stimme an, ohne sich um die Anwesenden zu kümmern.
»Aha, Sie Spaßvogel, ich erwische Sie dabei, wie Sie sich selber bewundern!«
Von ihm war in diesem Jahr eine abscheuliche Schnitterin im Salon, eine jener dummerweise mißratenen Gestalten, die so seltsam waren, daß man meinen könnte, sie seien auf Grund einer Wette aus seinen mächtigen Händen hervorgegangen, und nichtsdestoweniger strahlte er, war gewiß, ein Meisterwerk mehr geschaffen zu haben, führte seine göttliche
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