Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Menge. Er wunderte sich, daß er sein Bild nicht hatte entdecken können. Nichts war einfacher. Gab es denn nicht einen Saal, in dem gelacht wurde, eine Ecke voller Spöttelei und Gelärm, wo sich das Publikum voller Hohn zusammenrottete und ein Werk beschimpfte? Dieses Werk war dann todsicher das seine. Er hatte noch das Gelächter im Salon der Abgelehnten von damals in den Ohren. Und an jeder Tür lauschte er nun, um zu horchen, ob man ihn nicht dort ausjohlte.
    Aber als er sich wieder im Ostsaal befand, in dieser Halle, darin die große Kunst mit dem Tode ringt, dem Schuttabladeplatz, wo man die großformatigen geschichtlichen und religiösen Kompositionen von düsterer Kälte stapelt, zuckte er zusammen, er verharrte reglos und starrte in die Höhe. Indessen war er zweimal hier vorbeigekommen. Da oben, da hing ja sein Gemälde, so hoch, so hoch, daß er es kaum wiedererkannte, ganz klein, hingesetzt wie eine Schwalbe auf die Ecke eines Rahmens, auf den riesigen Rahmen eines ungeheuren, zehn Meter langen Gemäldes, das die Sintflut darstellte, das Gewimmel eines kopfüber in das weinhefefarbene Wasser gestürzten gelben Volkes. Links hing noch das jammervolle Bildnis eines aschfarbenen Generals; rechts eine kolossale Nymphe in einer Mondlandschaft, der ausgeblutete Leichnam einer Ermordeten, der im Gras verfaulte, und ringsum überall schmutzigrosa und blaßviolette Sachen, traurige Bilder, sogar eine komische Szene mit Mönchen, die sich betranken, sogar eine Eröffnung der Deputiertenkammer samt einer mit vergoldeter Leiste umrahmten Tafel, auf der die Köpfe der bekannten Abgeordneten skizziert waren mit ihren Namen darunter. Und mitten in diese bleifahle Nachbarschaft dort oben knallte das kleine Gemälde, das zu kraß war, wild hinein mit der schmerzlichen Grimasse eines Ungeheuers.
    Ach, »Das tote Kind«, der elende kleine Leichnam, der auf diese Entfernung nur noch etwas Verworrenes aus Fleisch war, die an den Strand gespülte Schale irgendeines gestaltlosen Tieres! War das nun ein Schädel, oder war das ein Bauch, dieser aufgequollene und ausgeblichene höchst sonderbare Kopf? Und diese armen verkrümmten Hände auf der Bettdecke, die wie die verdrehten Pfoten erfrorener Vögel aussahen! Und das Bett selber, diese Blässe der Laken unter der Blässe der Glieder, all dieses Weiß, das so traurig war, ein Zerrinnen des Tons, das letzte Ende! Dann konnte man die hellen, starren Augen unterscheiden, man erkannte einen Kinderkopf, den tiefes und gräßliches Erbarmen auslösenden Fall irgendeiner Hirnkrankheit.
    Claude trat näher, trat wieder zurück, um besser zu sehen. Das licht war so schlecht, daß überall auf dem Gemälde Reflexe tanzten. Sein kleiner Jacques, wo man den hingehängt hatte! Sicher aus Mißachtung, oder eher aus Scham, um sich seiner unheimlichen Häßlichkeit zu entledigen. Er jedoch rief ihn sich wieder ins Gedächtnis zurück, sah ihn wieder frisch und rosig dort auf dem Lande, wie er sich im Grase wälzte, wie er dann in der Rue de Douai nach und nach blasser und blöder geworden, in der Rue Tourlaque dann nicht mehr seine Stirn tragen konnte und ganz allein in einer Nacht starb, während seine Mutter schlief; und er sah sie wieder, auch sie, die Mutter, die traurige Frau, die zu Hause geblieben war, um dort zweifellos zu weinen, wie sie nun ganze Tage weinte. Wie dem auch sei, sie hatte gut daran getan, nicht mitzukommen: das war zu traurig, wie ihr kleiner Jacques, der schon kalt war in seinem Bett, als Ausgestoßener beiseite geworfen, vom Licht so mißhandelt wurde, daß das Gesicht mit einem gräßlichen Lachen zu lachen schien.
    Und Claude litt noch mehr unter der Verlassenheit seines Werkes. Erstaunt, enttäuscht suchte er mit dem Blick die Menge, das Gedränge, auf das er sich gefaßt gemacht hatte. Warum johlte man ihn nicht aus? Ach, die Beschimpfungen von einst, die Spötteleien, die Entrüstungsausbrüche, das alles hatte ihn zerrissen und hatte ihn leben lassen! Nein, nichts mehr, nicht einmal ein Ausspucken im Vorbeigehen: das war der Tod. In dem ungeheuren Saal zog das Publikum rasch vorüber, erfaßt von einem Schauer der Langenweile. Nur vor dem Bild von der Eröffnung der Abgeordnetenkammer standen Leute, dort erneuerte sich unaufhörlich eine Gruppe, die die Aufschriften las, sich die Köpfe der Abgeordneten zeigte. Da Gelächter hinter ihm erscholl, drehte er sich um; aber man machte sich nicht lustig, man hatte lediglich seinen Spaß an den pichelnden Mönchen, an

Weitere Kostenlose Bücher