Das Werk - 14
dem komischen Erfolg des Salons, den die Herren den Damen erläuterten und dabei erklärten, das sei überraschend geistvoll. Und alle diese Leute zogen unter dem kleinen Jacques vorbei, und nicht einer hob den Kopf, nicht einer wußte auch nur, daß er dort oben hing.
Dem Maler kam indessen eine Hoffnung. Auf dem Rundsofa in der Mitte plauderten zwei ordengeschmückte Herren, ein dicker und ein dünner, die sich an die samtenen Rückenpolster lehnten und die Bilder vor ihnen betrachteten. Er trat näher, er hörte ihnen zu:
»Und ich bin ihnen nachgegangen«, sagte der Dicke. »Sie sind die Rue SaintHonoré hinuntergegangen, dann die Rue SaintRoch, die Rue de la Chausséed’Antin, die Rue La Fayette …«
»Und dann haben Sie mit ihnen gesprochen?« fragte der Dünne mit tief interessierter Miene.
»Nein, ich hatte Angst, der Zorn würde mich hinreißen.«
Claude ging davon, kam klopfenden Herzens dreimal zurück, jedesmal, wenn einer der seltenen Besucher stehenblieb und den Blick langsam von der Leiste des Wandsockels bis zur Decke schweifen ließ. Ein krankhaftes Bedürfnis, ein Wort, ein einziges, zu vernehmen, machte ihn rasend. Warum denn ausstellen? Wie sich sonst ein Urteil bilden? Alles eher als diese Marter des Schweigens! Und er rang nach Luft, als er sah, daß ein junges Ehepaar herzutrat, der nette Mann mit kleinem blondem Schnurrbart, die entzückende Frau mit dem zarten, schlanken Gang einer Schäferin aus Meißner Porzellan. Sie hatte das Bild bemerkt, sie fragte, was es darstelle, war ganz erstaunt, daß sie nicht schlau daraus wurde; und als ihr Mann, im Katalog blätternd, den Titel gefunden hatte, »Das tote Kind«, zog sie ihn schaudernd mit einem Entsetzensschrei fort.
»Oh, was für ein Greuel! Daß die Polizei einen solchen Greuel erlaubt!«
Claude blieb, stand da, geistesabwesend, wie besessen, die Blicke oben in der Luft festgenagelt, inmitten des Herdengetrampels der Menge, die gleichgültig vorbeigaloppierte, ohne einen Blick für dieses Einzigartige und Heilige, das für ihn allein sichtbar war; und dort in diesem Ellbogengestoße erkannte ihn schließlich Sandoz.
Da seine Frau bei seiner kranken Mutter geblieben war, schlenderte auch Sandoz wie ein Junggeselle allein umher und war soeben blutenden Herzens unter dem kleinen Gemälde stehengeblieben, das er zufällig gefunden hatte. Ach, wie ekelhaft war doch dieses elende Leben! Er durchlebte jäh wieder ihre Jugend auf dem Gymnasium von Plassans, die langen Ausflüge am Ufer der Viorne, die freien Wanderungen unter der brennenden Sonne, dieses ganze Lodern ihres erwachenden Ehrgeizes; und er erinnerte sich später in ihrem gemeinsamen Dasein ihrer Anstrengungen, ihrer Gewißheit des Ruhmes, des schönen Heißhungers, der maßlosen Gier, die Paris am liebsten auf einmal verschluckt hätte. Wie viele Male hatte er damals in Claude den großen Mann gesehen, dessen ungezügeltes Genie das Talent der anderen sehr weit hinter sich lassen mußte! Da war zunächst das Atelier in der Impasse des Bourdonnais, später das Atelier am Quai de Bourbon, riesige Gemälde wurden geträumt, Pläne wurden geschmiedet, die den Louvre hätten sprengen können; es war dies ein unaufhörliches Ringen, zehn Stunden Arbeit am Tag, ein völliges Sichhingeben. Und dann? Nach zwanzig Jahren dieser Leidenschaft nun enden bei so was, bei diesem ganz winzigen armseligen, unheimlichen Ding, das unbemerkt blieb, von einer herzzerreißenden Schwermut war, vereinsamt und gemieden wie ein Pestkranker! So viele Hoffnungen, so viele Qualen, ein in den schweren Wehen des Gebarens verbrauchtes Leben, und nun so was, und nun so was, mein Gott!
Sandoz erkannte neben sich Claude. Eine brüderliche Rührung ließ seine Stimme erzittern.
»Wie! Du bist gekommen? – Warum bist du nicht bei mir vorbeigekommen und hast mich abgeholt?«
Der Maler entschuldigte sich nicht einmal. Er schien sehr abgespannt zu sein, ohne Aufbegehren, von einer sanften, einschläfernden Benommenheit befallen.
»Komm, bleib nicht hier. Es ist längst Mittag, du kommst mit mir essen … Leute erwarten mich bei Ledoyen. Aber ich laß sie warten, gehen wir ins Restaurant hinunter, das wird uns ein bißchen auffrischen, nicht wahr, Alter?«
Und Sandoz nahm ihn mit, schob seinen Arm unter Claudes Arm, drückte ihn, wärmte ihn und versuchte ihn aus seinem düsteren Schweigen herauszulocken.
»Na, na! Du darfst dich nicht so beirren lassen! Wenn die auch dein Bild schlecht hingehängt haben, es
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