Das Werk - 14
frisch gepflückte Erdbeeren, ein Käse, der aus der Milchkammer einer Nachbarin stammte –, plauderte man endlos, die Ellbogen bequem auf den Tisch gestützt.
In Paris? Mein Gott, in Paris machten die Kumpel nicht viel Neues. Doch, ja, sie gebrauchten ihre Ellbogen, sie trieben sich gegenseitig an, wer wohl als erster versorgt sein würde. Natürlich kamen die Abwesenden schlecht weg, es war schon gut, wenn man dabei war, wollte man nicht zu sehr in Vergessenheit geraten.
Aber blieb Begabung denn nicht Begabung? Kam man nicht immer hoch, wenn man den Willen und die Kraft dazu hatte? Ach ja, das war der Traum, auf dem Lande leben, dort Meisterwerke hörten, dann eines schönen Tages in Paris alles ausstechen, wenn man seine Koffer aufmachte!
Als Claude Sandoz abends zum Bahnhof brachte, sagte dieser zu ihm:
»Übrigens wollte ich dir im Vertrauen etwas sagen … Ich nehme an, daß ich bald heiraten werde …«
Auf einmal brach der Maler in Gelächter aus.
»Ach, du Spaßvogel, jetzt verstehe ich, warum du mir heute früh eine Predigt gehalten hast!«
Sie plauderten weiter, während sie auf den Zug warteten. Sandoz setzte ihm seine Vorstellung von der Ehe auseinander, in der er ganz bürgerlich die eigentliche Voraussetzung für gute Arbeit, für geregeltes und gediegenes Schaffen bei jenen sah, die heutzutage etwas Großes hervorbrachten. Das Verheerungen anrichtende Weib, das Weib, das den Künstler tötet, ihm das Herz zermalmt und ihm das Hirn leer frißt, war eine romantische Vorstellung, die die Tatsachen widerlegten. Er hatte übrigens das Bedürfnis nach einer Zuneigung, die seine Seelenruhe behütete, nach einem Heim voller Zärtlichkeit, in das er sich wie in ein Kloster zurückziehen konnte, um sein ganzes Leben dem riesigen Werk zu widmen, von dem er unausgesetzt träumte. Und er fügte hinzu, daß alles von der Wahl abhing, er glaubte diejenige gefunden zu haben, die er suchte, eine Waise, die anspruchslose Tochter kleiner Kaufleute, die keinen Sou hatte, aber schön und klug war. Vor sechs Monaten hatte er sich, nachdem er seine Stellung gekündigt hatte, in den Journalismus gestürzt, wo er mehr Geld verdiente. Er hatte soeben seine Mutter in einem Häuschen in Les Batignolles untergebracht, dort wollte er ein Leben zu dritt führen, mit zwei Frauen, die ihn lieben sollten, und er hatte ein Kreuz, breit genug, seine ganze Familie zu ernähren.
»Heirate, mein Alter«, sagte Claude. »Man muß das tun, wonach einem der Sinn steht … Und leb wohl, da kommt dein Zug. Vergiß nicht, was du versprochen hast, und besuch uns wieder.«
Sandoz stellte sich sehr häufig ein. Er schneite auf gut Glück herein, sobald seine Tätigkeit bei der Zeitung es ihm erlaubte, weil er noch frei war und erst im Herbst heiraten würde. Das waren glückliche Tage, ganze Nachmittage verplauderten sie in vertraulichem Gespräch und faßten gemeinsam wieder wie einst den Entschluß, zu Ruhm zu gelangen.
Als er eines Tages allein mit Claude auf einer Insel war und sie ausgestreckt Seite an Seite dalagen, die Blicke im Himmel verloren, erzählte er ihm von seinem hochfliegenden Ehrgeiz, er beichtete ganz laut:
»Die Zeitung, siehst du, das ist nichts anderes als ein Kampfplatz. Man muß leben, und man muß kämpfen, um zu leben … Außerdem ist diese Hure, die Presse, trotz der Widrigkeiten des Metiers eine verteufelte Macht, eine unbesiegbare Waffe in den Händen eines überzeugten Kerls.. Aber wenn ich gezwungen werden sollte, mich ihrer zu bedienen, würde ich nicht alt da werden! Und ich habe schon, was ich brauche, ja, ich habe, was ich suchte, eine Sache, bei der man vor Arbeit verreckt, etwas, in das ich mich hineinstürzen möchte, um vielleicht nicht mehr wieder herauszukommen.«
Schweigen sank vom Laub herab, das in der großen Hitze reglos an den Bäumen hing.
Er redete mit langsamerer Stimme in zusammenhanglosen Sätzen weiter:
»Den Menschen studieren, so wie er ist, und nicht mehr den metaphysischen Hampelmann der andern, sondern den Menschen in seiner physischen Bedingtheit, der von seinem Milieu geprägt ist und im Zusammenspiel aller seiner Organe handelt … Ist das nicht ulkig, daß man unter dem Vorwand, das Gehirn sei das edle Organ, unausgesetzt und ausschließlich die Hirnfunktion studiert? – Das Denken, das Denken, zum Himmeldonnerwetter, das Denken ist das Produkt des ganzen Körpers.
Bringt doch ein Gehirn allein von sich aus zum Denken, seht doch mal zu, was wohl aus dem Edlen, aus dem
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