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Das Werk - 14

Das Werk - 14

Titel: Das Werk - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Gehirn wird, wenn der Bauch krank ist! – Nein, schwachsinnig ist es, die Philosophie ist nicht mehr da, die Wissenschaft ist nicht mehr da, wir sind Positivisten, Evolutionisten, und wir sollten die literarische Marionette der klassischen Zeiten beibehalten, und wir sollten uns damit begnügen, die verfitzten Haare der reinen Vernunft zu entwirren! Wer Psychologe sagt, sagt Verräter an der Wahrheit. Das besagt übrigens gar nichts, Physiologie, Psychologie: eines hat das andere durchdrungen, beides ist heute nur noch eines, der Mechanismus des Menschen, der aus der Gesamtsumme seiner Funktionen besteht … Ach, die Formel ist da, unsere moderne Revolution hat keine andere Grundlage, und diese Grundlage ist der unvermeidliche Tod der uralten Gesellschaft, ist die Geburt einer neuen Gesellschaft und ist notwendigerweise das Wachsen einer neuen Kunst auf diesem neuen Boden … Ja, man wird es ja erleben, man wird die Literatur erleben; die keimen wird für das kommende Jahrhundert der Wissenschaft und der Demokratie!« Sein Schrei stieg auf, verlor sich in der Tiefe des unermeßlichen Himmels. Kein Lufthauch regte sich, nur der Fluß glitt stumm längs der Weiden dahin. Und er drehte sich jäh zu seinem Gefährten um, er sagte ihm ins Gesicht: »Ja, ich habe gefunden, was ich brauchte! Oh; nicht viel, ein kleines Fleckchen bloß, das für ein Menschenleben genügt, selbst wenn man einen zu hochfliegenden Ehrgeiz hat … Ich werde eine Familie nehmen, und ich werde deren Mitglieder studieren, eines nach dem anderen, woher sie kommen, wohin sie gehen, wie sie aufeinander reagieren; kurzum; eine Menschheit im Kleinen, die Art, in der die Menschheit heranwächst und sich verhält … Andererseits werde ich meine Leutchen in einen bestimmten geschichtlichen Zeitabschnitt stellen, wodurch mir die Umwelt und die Umstände, ein Stück Geschichte zuteil werden … Na? Du verstehst, eine Reihe von Schwarten, fünfzehn, zwanzig Schwarten, Episoden, die zusammengehören, obwohl jede in sich abgeschlossen ist, eine Romanreihe, damit ich mir für meine alten Tage ein Haus bauen kann, falls diese Schwarten mich nicht vorher zerschmettern!« Er sank wieder auf den Rücken, er breitete im Grase die Arme aus; lachend, scherzend schien er in die Erde eingehen zu wollen. »Ach, du gute Erde, nimm mich, du, die du die gemeinsame Mutter bist, die einzige Quelle des Lebens! Du, die Ewige, die Unsterbliche, darin die Seele der Welt kreist, dieser Saft, der sich sogar in die Steine ergossen hat und der aus Bäumen unsere großen, reglosen Brüder macht! – Ja, ich will mich verlieren in dir, dich spüre ich hier unter meinen Gliedern, wie du mich umarmst und mich entflammst, du allein wirst in meinem Werk sein als die Urkraft, das Mittel und der Zweck, die riesengroße Arche, darauf sich alle Dinge mit dem Odem aller Wesen beleben.« Aber diese Anrufung, die als Scherz mit dem Anschwellen lyrischer Emphase begonnen hatte, endete in einem Schrei glühender Überzeugung, die eine tiefe dichterische Erregung zum Erbeben brachte; und seine Augen wurden feucht; und um diese Rührung zu verbergen, fügte er mit einer weit ausholenden Gebärde, die den Horizont umfaßte, mit roher Stimme hinzu: »Ist das dumm, eine Seele für jeden von uns, wo es doch jene große Seele gibt.«
    Claude hatte sich nicht gerührt, war in der Tiefe des Grases verschwunden. Nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten, sagte er abschließend:
    »Das ist es, Alter! Bring sie alle um! – Aber man wird dich halbtot schlagen.«
    »Oh«, sagte Sandoz, der aufstand und sich reckte, »ich habe zu harte Knochen. Sie werden sich die Handgelenke brechen … Gehen wir nach Hause, ich will den Zug nicht verpassen.«
    Christine hatte für Sandoz eine lebhafte Zuneigung gefaßt, weil sie sah, wie aufrecht und unerschütterlich er im Leben stand; und sie wagte schließlich, ihn um einen Gefallen zu bitten, nämlich Jacques’ Pate zu werden. Gewiß, sie setzte keinen Fuß mehr in die Kirche; aber warum sollte mit diesem Bengel nicht geschehen, was nun einmal Brauch war? Was sie dann vor allem dazu bewog, war die Absicht, dem Kleinen jemand zu geben, der ihm ein Halt sein konnte, diesen Paten, bei dem sie spürte, daß er so gesetzt, so vernünftig war im Glanz seiner Kraft. Claude wunderte sich, gab mit einem Achselzucken seine Einwilligung. Und die Taufe fand statt, man hatte eine Patin ausfindig gemacht, die Tochter einer Nachbarin. Das wurde ein Fest, man verspeiste einen Hummer,

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