Das Wesen aller Kriege (Die Ratte des Warlords IX-A) (German Edition)
den Befehl gegeben, um sich nicht auf eine Diskussion einlassen zu müssen. Im nächsten Moment musste er sich wirklich konzentrieren.
Zwischen dem kleineren der beiden Hochhäuser und der Erde spannte sich das Mondlicht plötzlich wie ein Haar, flackerte und verschwand. Kepler schwenkte das Gewehr nach rechts und erhöhte die Vergrößerung am Visier. Dann sah er das Flackern wieder. Es musste ein sehr dünnes Seil sein, das sich unter einer Last krümmte. Keplers Augen fixierten die Verformung. Kurz darauf sah er unter dem Seil einen verwischten Schatten, der für Sekundenbruchteile stumpf im Mondlicht glitzerte. Kepler verfolgte die Krümmung, die sich zügig nach oben bewegte. Es geschah nicht ruckartig, sondern gleichmäßig, und wurde in der Höhe nur etwas langsamer. Die Syths benutzten wohl einen Mechanismus, der sie am Seil bewegte. So sparten sie die Kraft, die sie zum Jagen brauchten.
Unvermittelt tauchte d er Schatten verschwommen auf der dem Seil gegenüberliegenden Dachkante auf. Diesmal verschwand er nicht, der Lichteinstrahlwinkel ließ die Tarnung des Syths relativ deutlich flackern. Die Außerirdische streckte einen Arm aus und ein neues Seil schoss zum Dach des höheren Wolkenkratzers. Die Syth fixierte es am Boden und sprang geschmeidig vor. Mit einem Arm am Seil hängend schwang sie sich über den Abgrund zwischen den beiden Hochhäusern, dann sah Kepler sie nicht mehr. Er bewegte das Gewehr etwas weiter nach links. Der zweite Wolkenkratzer war etwa dreihundert Meter hoch, der erste fünfzig Meter kleiner, und die beiden standen ungefähr zweihundert Meter auseinander. Endlich sah Kepler die sich bewegende Krümmung des Seils wieder und folgte ihr. Die Syth huschte wie ein Schatten aus fahlem Licht über die gähnende Dunkelheit zwischen den Hochhäusern, erreichte die Dachkante, schwang sich behände darauf und löste sich wieder in der Nacht auf.
Sekunden später lokalisierte Kepler sie wieder. Daran, dass die Dunkelheit an einer Stelle um einen Deut aufgehellt wurde.
Kepler s Gehirn begann zu rechnen. Mit dem Material des Schaftes hatte er gepatzt, aber bei dem Rest nicht. Durch die bessere Ausnutzung der Pulvergase würde das Geschoss weiter fliegen. Der Schalldämpfer bedeutete zwar einigen Leistungsverlust, aber der Schuss auf die zwei Kilometer bis zum Wolkenkratzer würde einem Schuss mit dem normalen AWSM ohne Schalldämpfer auf anderthalb Kilometer gleichen. Die Munition bestand zwar aus anderen Materialien, aber Kepler hatte sie in genau der Größe und mit genau dem Gewicht herstellen lassen, wie die Match-Geschosse, die er sonst verwendete. Damit kannte er die ballistischen Daten der Kugel. Den Wind und die Luftfeuchtigkeit hatte er schon längst erfasst. Er rechnete die Korrekturen für die Präzession der Erde und erhöhte ein wenig den Höhenvorhalt, weil die Syths größer als Menschen waren.
Dann reduzierte Kepler seine Atemfrequenz. Eine Sekunde später zeichneten seine Gedanken einen roten Faden ins Absehen.
E s war seine angeborene Fähigkeit, die er jahrelang mühevoll perfektioniert hatte. Diese Gabe hatte ihn zu einem der zehn besten Scharfschützen der Welt gemacht – in seiner Zeit. Millionen Jahre später war er wohl der einzige Mensch auf der Erde, der die Flugbahn eines Geschosses sehen konnte.
Die rote Linie vor seinem geistigen Auge bohrte sich in den aufgehellten Fleck der Dunkelheit wie es die Kugel in einigen Sekunden tun würde. Wenn Kepler die Bewegung der Syth auf dem Wolkenkratzer richtig deutete, sah die Außerirdische sich mit einem Gerät nach Wärmequellen um. Sie drehte sich langsam, aber das würde die Wirkung des Schusses nicht verhindern.
Ein Herzschlag, dann der nächste. Kepler spannte den Zeigefinger an. Als sein Herz nochmal geschlagen hatte, krümmte sein Finger sich.
Er konnte im Boden unter sich sein Herz schlagen spüren. Genauso nahm er die leichten Schritte hinter sich wahr. Er entspannte den Finger am Abzug und nahm die rechte Hand langsam vom Griff des Gewehrs.
"Goii", flüster te er, "nicht erschrecken. Eine Syth ist hinter uns."
Millimeter für Millimeter schob er die rechte Hand zur Hüfte und zog die Glock aus dem Halfter. Noch langsamer streckte er die Hand zur Seite aus und legte die Pistole neben sich hin. Dann bewegte er die Hand zurück zum Gewehr und legte sie an den Griff, während seine Augen die kaum merklich schimmernde Syth auf dem anderen Wolkenkratzer fixiert hielten, und seine übrige Wahrnehmung sich
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