Das Wiegen der Seele (German Edition)
anfange n.
Voller Enthusiasmus bewaffnete er sich mit einem roten Filzstift, umkreiste die Abtei und zog Linien von den Schächten bis zum Hauptnetz.
Nach all den Fehlschlägen wurde es allerhöchste Zeit, dass er wieder mal ein Erfolgserlebnis zu verzeichnen hatte. Schnell rollte er den Plan zusammen und packte ihn in den Rucksack . Dann blickte er auf die Uhr. Inzwischen war es kurz vor halb zehn.
„Genau richtig“, murmelte Nettgen vor sich hin, denn er wollte im Schutz der Dunkelheit unentdeckt bleiben.
Sein Weg führte ihn quer durch die Stadt. Er bog in einen Feldweg. Der Motor jaulte in niedriger Übersetzung, als der Weg steil bergan ging . Kurz darauf neigte sich die Schnauze des Fahrzeugs nach unten, weil es ebenso steil bergab ging. Nettgen schüttelte nur den Kopf und fragte sich, welcher Idiot so einen Weg durch diese Landschaft baute. Hinter einer Biegung verlief der Weg schließlich wieder waagerecht. Nach rund fünfzehn Minuten erreichte er sein Ziel. Schon von weitem konnte Nettgen die Umrisse der Abtei erkennen. Zwei Türme, die von unten angestrahlt wurden, ragten in den Himmel. Die Mauer, die das Grundstück umgab, verlief Hunderte Meter und wurde nur von einem riesigen, verschlossenen Eisentor unterbrochen.
Nettgen parkte seinen Wage n am Wegrand zwischen Sträuchern und vergewisserte sich, dass er allein war. Dann schnallte er sich seinen Rucksack um und schlich geduckt zur Mauer. Mit einem Sprung konnte er sich an d er Kante festhalten und hinaufziehen.
Ihm wurde bewusst, dass er sich in diesem Moment unbefugt Zutritt verschaffte. Noch viel schlimmer war: Er musste unbemerkt in das Gebäude gelangen, falls nötig sogar einbrechen. Er verstieß gegen das Gesetz und fühlte sich gerade überhaupt nicht gut dabei. Er konnte sich noch nicht einmal als Polizist ausweisen und wäre bei einer Entdeckung völlig aufgeschmissen. Nettgen verdrängte diese Gedanken und sprang auf der anderen Seite der Mauer wieder herunter.
Langsam schlich er über das parkähnlich angelegte Grundstück, geschützt von der Dunkelheit. Um ihn herum war es totenstill.
Nettgen rief sich den Plan ins Gedächtnis und vermutete, dass sich der Einstieg in den Kanal im Keller der Abtei befand. Er hoffte, dieser Keller wäre von außen zugänglich.
Er schlich um das Gebäude bis zur Rückseite und hatte Glück: In einer Ecke ganz am Ende des Gebäudes führten Stufen in das Erdreich hinab! Nettgen triumphierte.
Vorsichtig tastete er sich die Treppe hinunter. Unten angelangt stand er vor einer Holztür. Nettgen zog sein Feuerzeug aus der Hosentasche und ließ es aufleuchten. Die Tür war verschlossen, doch darauf war er vorbereitet. Aus dem Rucksack ergriff er seine Taschenlampe und ein kleines Mäppchen, in dem sich diverse Metallstifte und Drähte befanden. Damit hatte er schon etliche Schlösser bezwungen. Mit viel Fingerspitzengefühl schaffte er es auch diesmal, öffnete die knirschende Tür einen Spalt und inspizierte die Lage. Die Luft war rein, niemand zu sehen, nichts zu hören.
Nettgen betrat einen Raum, der mit Kisten, Fässern, Körben und anderem Gerümpel vollgepackt war. An der Rückseite des Raumes führte eine Wendeltreppe hinauf ins Erdgeschoss der Abtei. Links in der Wand befand sich eine weitere Tür. Nettgen öffnete sie vorsichtig und trat hindurch. Er richtete seine Taschenlampe auf den Boden und leuchtete.
Dieser Raum war groß und roch modrig, die Wände waren an manchen Stellen feucht. Im Gegensatz zum ersten Raum war dieser leer. Eine breite Steintreppe führte weiter nach unten. Er stieg die Treppe hinab und stand in einem großen Gewölbekeller. Die Wände wurden feuchter und ein undefinierbarer Gestank lag in der Luft. Mitten im Boden befand sich ein Loch, aus dem eine Leiter hinausragte. Die letzte Sprosse war deutlich zu erkennen, das Metall blitzte im Schein der Taschenlampe auf. Nettgen leuchtete in das Loch. Es war tief, breit und stockdunkel. Der Gestank war jetzt intensiver, fast nicht auszuhalten. Nettgen schauderte bei dem Gedanken, noch tiefer in diese Unterwelt vordringen zu müssen.
Er stieg die Leiter hinab und zählte die Sprossen. Zweiundzwanzig. Unten angelangt, stand er direkt vor einer Stahltür. Ohne viel Zuversicht drückte Nettgen auf die Klinke. Zu seiner Überraschung war die Tür offen.
Beim Öffnen traf ihn ein ekelerregender Geruch, der so penetrant war, dass er sich vor Übelkeit schüttelte. Nachdem er ein paar Augenblicke damit zu kämpfen hatte, sich
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